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Nr. 6.

(Dienstag.)

Köln, den 5. April 1898.

(Vincentius.)

Zul. Johngng,

Speichelleckerei und Schweifwedelei, alles Bureau­kratenthum der Gegenwart wird sie nicht wieder hervorholen. Die neue Monarchie ist ein Volks­fürstenthum, nicht das vom Volk verliehene und abhängige des Liberalismus, sondern ein Fürstenthum für das Volk...

Herr Stieve, der im Nachsatze sodann diese hübschen Ansichten etwas abschwächen wollte, hat da, wie die Germania treffend bemerkt, in großer öffentlicher Versammlung etwas gesagt, was ja längst nicht unbekannt ist. Der Liberalismus ist soweit vorgeschritten, daß er das Königthum von Gottes Gnaden und das Legitimitätsprinzip in dem Augenblicke nicht mehr auerkennt oder über den Haufen wirft, in dem er die Macht hat und ihm diese Grund­säulen eines geordneten Staatswesens nicht mehr passen. Es ist aber gut, daß dieliberalen" Herren hie und da den Schleier lüsten, den sie über ihr Treiben hüllen, damit auch andere Personen, denen Loyalität vorgeheuchelt wird Herr Stieve nennt dasSpeichelleckerei" und Schweifwedelei ersehen, welchetreue Stützen" diese Liberalen sind, die den Mund allerdings gegebeuenfalls sehr voll nehmen, in Wirklichkeit aber dasFürstenthum von Volkes Gnaden wollen, was schließlich doch auf dase Nämliche hinauskommt, was Bebel, Liebknecht, Voll­mar wollen. Daß gerade desGewaltmenschen" Fürst Bismarcks Geburtstag zu einem solchen Ergusse und Geständnisse benutzt wird, ist eine Ironie des Schickssals. Die Stieve'sche Aeußerung ruft aber im Rheinlande lebhaft die Erinnerung wach an die, zur Zeit der Kommunalwahlreform=Berathungen im preußischen Landtage, in einer bekannten rheinischen Stadt gefallene Aeußerung aus nationalliberalem Munde, daß man an dieRevision" des monarchischen Gefühls denken müsse, wenn das plutokratische Dreiklassenwahlrecht geschmälert würde.

Kaum ist Herr v. Buchka zum Leiter der Kolonialabtheilung im Auswärtigen Amte ernannt worden, verlautet schon weiter, daß das vermuthlich für Herrn von Buchka nur ein Durchgangs=Posten sein werde. Herr von Buchka sei augenscheinlich zunoch Höherem be­rusen". Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung begleitete, wie gestern berichtet, die Nachricht von der Ernennung des Herrn v. Buchka zum Kolo­nialdirektor mit einer Bemerkung des Inhaltes, daß die politischen Anschauungen desselben ihn be­sonders dazu befähigen sollen, seines Amtes in gutem Einvernehmen mit der Mehrheit des Reichs­tages zu walten. Jeder verständige Mann würde sich freuen darüber, wenn die oberoffiziöse Zeitung mit dieser ihrer Bemerkung Recht behalten sollte. Im Allgemeinen hat aber Herr v. Buchka wun­derliche Auschauungen über den Werth und über die Bedeutung des Parlamentarismus. Dasschöne" Ländchen Mecklenburg erfreut sich bekanntlich noch nicht einer vom Volke gewählten parlamentarischen Körperschaft, und Herr von Buchka hat mehrfach Gelegenheit genommen, offen ein politisches Bekenntniß dahin abzulegen, daß er die Einrichtung einer solchen in Mecklenburg für ein Unglück(!) halten würde. Denndann würden in Mecklenburg ebensolche Zustände ein­reißen, wie in Wien... Auf großeFreund­schaft" für unsern deutschen, verfassungsmäßigen Reichstags=Parlamentarismus läßt diese Aeuße­rung gerade nicht schließen.

* Berlin, 4. April. Der Gesetzent­wurf zur Bekämpfung der Unsitt­lichkeit, den das Centrum zu Beginn der Reichstagssession wieder eingebracht hatte, hat nunmehr Aussicht, Gesetz zu werden. Zwar sind die Vorschläge des Centrums in der Kom­mission vielfach umgeändert worden, immer bleibt aber ein verschärfteres, strafgesetzliches Vor­

gehen gegen die Unsittlichkeit. Von besonderer Wichtigkeit ist der neue Paragraph, der das Zuhälterthum mit Gefängniß bedroht; Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Stellung unter Polizeiaussicht und Ueberweisung an die Landespolizeibehörde zur Unterbringung im Ar­beitshause ist zulässig. Der Paragraph wurde mit allen gegen eine Stimme angenommen. Einstimmig neu eingeführt wurde die Bestim­mung, daß mit Gefängniß bis zu einem Jahre und Geldstrafe bis zu 1000 Mark bestraft wird, wer Schriften, Abbildungen oder Darstellungen verbreitet, welche das Scham= und Sittlichkeits­gefühl gröblich verletzen. Die Gerichte haben bisher unzähligen derartigen Schriften und Ab­bildungen gegenüber eine sehr laxe Praxis ge­zeigt. Nicht durchgesetzt wurde die Bestimmung betreffend unsittliche und Aergerniß erregende theatralische Vorstellungen und dergleichen. Die Regierungsvertreter beriesen sich da vor Allem auf die Präventiv=Censur der Polizei, die genüge. Wie die tägliche Erjahrung, namentlich auch in Köln, zeigt, genügt sie nicht, indeß war in der Kommission nicht mehr zu erreichen, als eine Resolution(!!), die schärfere Cenjur empfiehlt. Verschärft wurde die Strafe für Kuppelei.

* Berlin, 4. April. Für die Uebungen des Beurlaubtenstandes sind in diesem Jahr nach kaiserlicher Anordnung einzuziehen 144500 Mann bei der Insanterie, bei der Feld­artillerie und Kavallerie je 12000 Mann, außer­dem verschiedene Mannschaften bei anderne Truppentheilen im Ganzen 177981 Mann.

Vom Reichstag sind beim Militär=Etat ferner die Mittel bewilligt worden für die Er­richtung einer besonderen Feldzeugmeisterei.

Dieser neuen militärischen Behörde sollen unter­stehen die Beschaffung, Ansertigung und Verwalt­ung der Streitmittel und des Feldgeräthes, sowie die Aufsicht über das Personal, das damit zu thun hat. Der Standort der Feldzeugmeisterei ist Berlin. Der Feldzeugmeisterei sollen unterstehen eine Cen­tralabtheilung, eine Inspektion der technischen In­stitute der Insanterie, eine ebensolche Inspektion der Artillerie, je eine Depot=Inspektion für den Train und für die Artillerie. Neu errichtet wer­den: 4 Traindepot=Inspektionen, und zwar je eine in Danzig, Berlin, Kassel und Straßburg.

Neu geschaffen sind die Stellen eines Geueralinspekteurs der Kavallerie und zweier Kavallerie=Inspekteure. Diese Einrichtung soll bezwecken, daß eine größere Einheitlichkeit in der Ausbildung der Kavallerie erreicht wird.

Der Generaliuspektion der Kavallerie ist außer den 4 Kavallerie=Inspekteuren auch das Militar­Reitinstitut in Hannover unterstellt worden und ebenso das Militär=Thierarztneiwesen. Dadurch ist das preußische Kriegsministerium entlastet worden. Die Standorte für die Kavallerie=Inspek­tionen sind Königsberg, Stettin, Münster und Saarbrücken. Die Generalinspektion befindet sich in Berlin. Der Generalinspekteur hat den Rang und das Gehalt eines kommandirenden Generals und erhält als Adjutanten zwei Rittmeister; die Dienstzulage für den Generalinspekteur beträgt 12000 M. und steigt unter gewissen Bedingungen aus 18.000 M.

Die französischen Blätter be­schäftigen sich sehr eingehend mit dem in­dustriellen und kommerziellen Auf­schwung Deutschlands. Es sind namentlich die statistischen Ziffern, über die sie erstaunt, ja verblüfft sind, wenn sie dieselben mit den französischen Ziffern vergleichen. In der That sind diese Ziffern sprechend genug. Von 1881 bis 1896 ist der Handel Deutschlands von 7 auf 10 Milliarden, der Handel Eng­lands von 17 auf 18½ Milliarden ge­stiegen, während der Handel Frank­reichs von auf 7., Milliarden ge­

a. Das neue Preßgesetz für Elsaß­

Lothringen

jetzt endlich, nachdem seitens der elsässischen und anderer Abgeordneten wiederholt die unhalt­baren Preßzverhältnisse in den Reichslanden ein­gehend dargelegt worden waren und der Reichstag verschiedentlich Beschlüsse auf Abstellung der be­klagten Zustände mit großer Mehrheit gefaßt hatte, vom Bundesrath vollzogen worden. Letzterer hatte, gerade wie bei den Beschlüssen des Reichstags über die Aufhebung des Je­suiten gesetzes, auch die Anträge betreffend die Aenderung des Preßgesetzes in den Reichs­landen einfach in seinem großen nimmersatten Papierkorb verschwinden lassen einenette" Achtung vor den Beschlüssen des ihm völlig gleichwerthigen, ja beim Volke viel höher im An­sehen stehenden Reichstags! Wenn jetzt der Bun­desrath,nicht gehorchend dem eigenen Trieb, sondern gezwungen von der öffentlichen Mein­ung, sich zu der großenGesetzesthat" wirklich aufgeschwungen hat, so mußte man von vorn­herein argwöhnen, daß die Elsaß=Lothringer, die jetzt schon 27 Jahre unter so manchen Aus­nahmegesetzen, wie dem Diktaturparagraphen usw. seufzen, auch hinsichtlich der an für sich schon mehr wie kargenFreiheit der Presse in Preußen=Deutschland auch jetzt noch nicht mit ihren deutschen Brüdern außerhalb der Reichslande gleichgestellt werden würden. Undso verhält es sich in der That, wie aus dem hier folgenden Wortlaut des neuen Preßgesetzent­wurzs für Elsaß=Lothringen hervorgeht:

9 1. Die Bestimmungen des Reichsgesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874(Reigsgesetzbl. S. 65), mit Ausnahme der S8 14, 2329 und 81, sowie die Bestimmungen der Gewerbe­Ordnung für das deutsche Reich über das Preß­gewerde kommen vom 1. April 1898 an als landesrechtliche Vorschriften in Anwendung.

8 2. Die Verbreitung einer außerhalb des Reichs­gebietes herausgegebenen Druckschrift oder einzelner Theile einer solchen in Elsaß=Loth= ringen kann von dem Ministerium verboten werden. Die vorstehende Bestimmung findet auch Anwendung auf veriodische Druckschriften, welche innerhalb des Reichsgedietes erscheinen, sofern ihr redaktioneller Theil ganz oder theil­weise in einer fremden Sprache abgesaßt ist.

[ 6 8. Zuwiderhandlungen gegen ein auf Grund des § 2 erlassenes Verbot unterliegen der Strafe des§ 18 des Reichsgesetzes üver die Presse vom 7. Mai 1874.

84. Druckschriften in einer fremden Sprache können vom Feilbieten im Umherziehen mit der in § 42:der Gewerbe=Ordnung bezeichneten Wirk­ung ausgeschlossen werden, auch wenn die Vor­aussetzungen im§ 56 Absatz 3 Ziffer 12 der Gewerbe=Ordnung nicht vorliegen. Auf Zu­widerhandlungen findet die in§ 148 der Ge­werbe=Ordnung angedrohte Strafe Anwendung. 3 5. Die Vorschriften der bestehenden Gesetze über die Verpflichtung der Eigenthümer von period­ischen Druckschriften zur Bestellung einer Kaution bleiben unberührt. Die Kaution baftet für die Kosten, Ersatzleistungen und Geldstrafen, zu welchen der verantwortliche Redakteur oder der Verleger einer periodischen Druckschrift rechtskräftig verurtheilt werden. Wer eine periodische Druckschrift, für welche eine Kaution zu bestellen ist, herausgibt, ohne daß die Kaution hinterlegt oder im Falle der Inonspruchnahme aus einer Verurtheilung er­gänzt ist, wird nach Maßgabe von§ 18 des Reichsgesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874 bestraft. Das weitere Erscheinen der Druckschrift kann polizeilich verhindert werden. 9 6. Die Ausführungsbestimmungen zu dem Gesetze erläßt das Ministerium; insbesondere wird dasselbe ermächtigt, den Text der preßrechtlichen Vorschriften, wie er sich aus den Bestimmun­gen des§ 1 des gegenwärtigen Gesetzes und des § 43 Absatz 6 der Gewerbeordnung ergibt,

4) Erzählung von Klarisse Borges.

(Nachdruck verboten.)

So reifte der Eutschluß in dem Herzen Margots, eine arme kleine Waise an Kindesstatt an ihr Herz zu drücken, ihr Heimath, Namen und Eltern zu geben, sie einzusetzen als Erben des Titels ihres Pflegevaters, aber auch als Erben seiner Armuth und Schuldenlast. So kam der kleine Leo als 12 jähriges Knäblein in das Schloß, und unter der sorgfältigsten und liebevollsten Pflege ent­wickelten sich seine bedeutenden Gerstes= und Körperkräfte auss herrlichste. Gräfin Margot lebte sichtlich auf, seitdem sie ihr Dasein nicht mehr als ein völlig zweckloses erkannte, und auch der Graf konnte nach und nach den Entschluß seiner Frau nur loben, da er solchen Umschwung in ihr hervorgebracht hatte.

Meine liebe Frau, nahm jetzt der Graf wieder das Wort,ich gebe zu, daß Leo ein hübscher, stattlicher Knabe geworden ist, aber dar­aus geht keineswegs heroor, daß meine Schwester ihn zu ihrem Erben einsetzen soll. Wenn er auch alle Rechte unseres eigenen Kiudes genießt, und ich ihm gerne eine bessere Zukunft wünsche, so kennt Angela ihn gar nicht; sie hat ihn ja noch nicht einmal gesehen.

Sie hat die kleinen Riedings und Berghaupts auch noch nicht gesehen", schmollte Margot.

Nein. Angela hat in der Tat ihre ganze Familie vernachlässigt. Als sie nach dem Tode des Vaters das Schloß verließ, hat sie sich von uns Allen losgesagt. Es fanden seitdem in der Familie drei Hochzeiten statt, aber keine dieser Festlichkeiten, nicht einmal der Tod unserer Mutter, konnte sie zur Rückkehr bewegen. So lange sie im Hospital Krankenpflegerin war, kümmerten wir uns auch wenig um sie, jetzt aber. seit zwei Jahren, da sie unermeßlich reich ist

durch das Gesetzblatt für Elsaß=Lothringen be­kannt zu mochen.

Es handelt sich hier also nicht um die eigentlich selbstverständliche Einführung des Reichspreßgesetzes für Lothringen, son­dern wieder um ein richtiges Stück bundesräth­liches Flickwerk; Mit Recht bemerkt die Freis. Ztg.:Es ist das erste Mal, daß derart ein Reichsgesetz mit gewissen Einschränkungen und Zusätzen in einem Theil des Reiches als Landesrecht zur Geltung gelangt". Aber weit wichtiger noch, als die formalen Bedenken, sind die sachlichen und allgemein politischen. Der Willkür der Behörden ist freiester Spielraum gelassen, sie kann Zeitungen ohne Kautionen zu­lassen, zwingt aber alle ihr nicht genehmen Blätter, Kaution zu erlegen, das Verbieten ausländischer, ja selbst inländischer Zeitungen, wenn sie nur so vorsichtig sind, einmal ein In­serat in französischer Sprache zu veröffentlichen, bleibt ganz im Belieben der Verwaltungsbehörden. Ebenso ist für die nicht blos in deutscher Sprache erscheinenden Zeitungen, die doch für die rein französischen Landgebiete in Elsaß und in Loth­ringen nicht entbehrt werden können, größere Einschränkung der Kolportage, als sie die Ge­werde= Ordnung ohnedies gestattet, möglich.

Im Vergleich zu dem bieherigen Recht hebt das neue Gesetz die Verantwortlichkeit des ge­schäftlichen Leiters des Zeitungsunternehmens auf. Es befreit die Zeitungen von der kostenfreien Aufnahme amtlicher Mittheilungen an der Spitze des Blattes und beseitigt für das Buchdruckerei­gewerde und den stehenden Buchhandel die Kon­zessionspflicht, die Eidesleistungen und die Be­schränkungen, welche sich aus der Zurücknahme der Kaution bei Verletzung des Gesetzes oder der auf den Gewerbebetrieb bezüglichen Polizeiverord­nungen ergeben. Auch hatte bisher der Drucker ein chronologisches Verzeichniß über Druckauf­träge zu führen und vor der Drucklegung jeder nicht periodischen Schrift eine Erklärung abzu­geben.

Niemand, auch selbst der hohe Bundesrath nicht, wird glauben, daß durch den oben mitge­theilten Gesetzentwurf mit seinen theilweise noch immer kautschukartig dehnbaren Bestimmungen die Mißstimmung in den Reichslanden be­seitigt werden könnte. Solange die Elsaß­Lothringer nicht von dem Damoklesschwert des Ditaturparagraphen und der sonstigen Ausnahmegesetze befreit und ferner auch auf dem Gebiete des Preßwesens mit dem übrigen Deutschland vollständig gleichgestellt werden, müssen dieselben sich als Deutsche zweiter Klasse betrachten, die man trotz 27jährigen, ostelbischenGermanisirungskünsten noch immer nicht fürwürdig" hält, mit den schier uner­meßlichenFreiheiten der deutschen Spießbürger bedacht" zu werden.

ist nicht mehr auf der Welt. Er hat zwar die französischen Volksgemüther auf's Aeußerste aufgewühlt und die Leidenschaften der Pariser Straßenpolitiker, theilweise sogar auch der Par­lamentsmitglieder, in einer Weise erhitzt, daß jeden Augenblick die Gefahr gewaltsamer Aus­schreitungen bestand, ja noch mehr, er hat Wochen lang auch einen großen Theil der Presse anderer Länder in Aufregung erhalten. Aber jetzt ist er einfach für gar nicht mehr vorhanden erklärt worden. Mit dieser eigenthümlichen Sache ist es so zugegangen. Zola hatte in seinem Aussatze Ich klage an in der Pariser ZeitungAurore" eine ganze Reihe von Leuten beleidigt und zur Klage gegen ihn herausgefordert. Die Regierung aber hatte aus allen diesen Beleidigungen nur die eine gegen das Kriegsgericht herausge­griffen, das ehedem gegen den Major Ester­

und allein eine reizende Villa bewohnt, ist die Sache doch anders.

Ganz entschieden. Soll ich sie einladen? Vielleicht hat sie jetzt in den veränderten Verhält­nissen Sehnsucht, den Ort ihrer Kindheit wieder­zusehen.

Aber obgleich die Einladung höflich und freund­lich abgefaßt wurde. Angela schlug sie aus.

Sie wollte kein Glied ihrer Familie sehen, bis sie einen festen Entschluß für die Zukunft gefaßt hatte. Es war wahr, sie hatte seit einer langen Reihe von Jahren die Schwelle ihres Eltern­hauses nicht wieder betreten; waren ihr doch die Gefühle ihrer Geschwister nicht fremd, denn so lange sie sie selbst in Dürftigkeit lebte, hatten dieselben es nicht der Mühe werth gehalten, ihr die Verlobungen anzuzeigen.

Sie wußte aber, daß die Geschwister ver­heirathet waren, auch daß ihr Bruder Haus ihr Liebling nach dem fernen Indien aus­gewandert war, um dort sein Glück zu suchen. Er hatte der Schwester einmal geschrieben; es war ein ausführlicher, liebevoller Brief gewesen, den Angela auch in derselben herzlichen Weise beantwortet hatte. Aber damit hatte die Korres­pondenz ein Ende. Das Porto war in jenen Tagen noch theuer, und im Hospital sand auch Angela sehr wenig Zeit für Privatkorrespondenz. Doch bei dem Bruder Hans weilten ihre Ge­danken gern: Er hatte ihr damals geschrieben, daß er sehr bald Indien verlassen und nach New­York gezogen sei; er habe sich dort auch ver­heirathet und lebe mit seiner jungen, schönen Gattin sehr glücklich und zufrieden. Aber seit jener Zeit waren viele Jahre ver­gangen. Sie war jetzt eine reiche Frau, und sterbend hatte ihr Gatte sie gebeten, mit dem Ueberfluß ihres Geldes Menschen glücklich zu machen.

Das war eine schwere Aufgabe. Heimlich und

hazy verhandelt und diesen freigesprochen hatte. Angenommen, daß der Regierung das formelle Recht zustand, so zu verfahren, so hat doch das Pariser Obergericht, der Kassationshof, wie gestern gemeldet, entschieden, daß auch in diesem einzelnen Falle nicht formgemäß verfahren wor­den ist. Als von Zola beleidigt hatte nämlich der französische Kriegsminister, General Billot, Anklage gegen Zola erhoben. Der Kassationshof ist aber zu der Anschauung gelangt, daß der Kriegsminister nicht das Recht hatte, für das Kriegsgericht gegen Zola in die Schranken zu treten, ohne vorher von dem Kriegsgerichte selbst dazu ermächtigt zu sein. Daraus hat der Kassa­tionshof weiter die rechtliche Schlußfolgerung ge­zogen, daß für den ganzen Prozeß Zola die rechtliche Grundlage fehlte, und somit verkündet das Urtheil des genannten Obergerichtes, daß dieser ganze Prozeß fürnicht dagewesen" zu erklären ist. Daß der Kassationshof sein Ur­theil so eingerichtet hat, istsehr klug" von ihm. Denn auf diese Art braucht der Prozeß vor keinanderes Schwurgericht verwiesen zu werden.

Auch der französischen Regierung dürfte der Kassationshof mit seiner juristischenFindigkeit" einen großen Gefallen gethan haben. Die Re­gierung hatte über Zola und dessen Nachläufer gesiegt. Die Volksstimme stellte sich auf die Seite der Regierung, und ebenso erzielte der Ministerpräsident Meline in der Abgeordneten­kammer für seine Taktik ein glänzendes Ver­traueusvotum nach dem andern. Die ganze Zola=Gruppe hat also durch den Prozeß eine grundliche Niederlage erlitten, und daß diese Niederlage auch ihre durchschlagende Wirkung nicht verfehlte, geht ganz klar daraus hervor, daß der ganze Rummel ein vollkommenes Ende jand, als die Sippe sah, daß die Re­gierung die Wühlerei gründlich satt hatte und zu nachdrücklichem Vorgehen entschlossen war. Tiefe Stille entstand nach dem voraufgegangenen wüsten Lärm, und diese tiefe Stille ist durch nichts mehr gestört worden. Zola selbst wird jetzt ganz zufrieden sein, wenn ihm das Jahr Ge­fängniß erspart bleibt. Und der Regierung würde es kaum angenehm sein, wenn so kurz vor den allgemeinen Neuwahlen zur Deputirten­kammer der Spektakel noch einmal von Frischem losginge. Somit ist es für alle Theile das An­genehmfte, wenn es nun ganz einfäch heißt: der ganze Prozeß war eine juristische Unmöglichkeit; er ist also so gut wie gar nicht dagewesen.

Fast alle Pariser Blätter, zolafreundliche ebenso wie zolafeindliche, lassen deutlich durch ihre Aeußerungen über das Urtheil des Kassations­hofes erkennen, daß es ihnen so am liebsten ist und daß sie keine Erneuerung des Prozeß­Skandals wünschen. Alle verrathen den einen ge­meinsamen Wunsch, daß es bei dem klugen Urtheile des Kassationshofes sein Bewenden haben möge. Der Kassationshof selbst aber hat die Genug­thuung, durch sein Urtheil beiden ehedem streitenden Parteien eineFreude gemacht zu haben. Und das ist ja ein ganz besonderes juristisches Kunststück.

Deussches Reich,

* Berlin, 4. April. DieKönigs­treue" desLiberalismus ist anläßlich einer Bismarckseier, die auf dem Löwenbräu­keller zu München stattsand, durch Professor Stieve in ein bedenkliches Licht gestellt worden. Dieser Herr bezeichnete nämlich in seiner Fest­rede Kaiser Wilhelm I. als die Verkörperung des neuen Fürstenthums und erklärte dabei Folgendes;

Die alte Monarchie des Gottesgnadenthums und der Legitimität ist für immer im Strome der Zeit=Entwickelung versunken, und alle

vorsichtig stellte sie über die Verhältnisse ihrer Geschwister Nachforschungen an. Von Hans in New=York schien jede Spur verschwunden, und trotz der eifrigsten Bemühungen war derselbe nicht zu entdecken. Die Anderen lebten alle in großer Dürftigkeit. Kurt lebte in derselben Weise auf dem altem Stammschlosse, wie ihr Vater es ge­than hatte; die Gläubiger drängten von allen Seiten, und nur mühsam konnte er sein Dasein fristen. Sie freute sich aber über den Adoptiv= sohn, der auch in alle Rechte ihres leiblichen Neffen eintreten sollte. Ueber den Anwalt Rie­ding war sie tief empört. Er hatte sich dem Trunke ergeben, mißhandelte seine Familie und erfüllte nur sehr wenig die Pflichten seines Be­rufes. Wenn sie aber der kinderreichen Fa­milie Berghaupt gedachte, so blutete bei dem Ge­danken an Helenens Schicksal ihr Herz. Wenn auch die Hausfrau Alles noch so sparsam ein­richtete, und in dem Dorfe Ebersheim das Leben gewiß billiger war, wie in der Großstadt, so konnte sie doch bei aller Sparsamkeit kaum das tägliche Brod für ihre zehn Kinder beschaffen.

Nach Empfang des letzten Briefes von Gräfin Margot wartete Angela noch ein halbes Jahr, dann schrieb sie ihrem Bruder Kurt und ihren beiden Schwestern. Sie bot ihnen an, die Er­ziehung des ältesten Sohnes aus jeder Familie zu übernehmen. Die Knaben sollten auf ihre Kosten zuerst ein Gymnasium, dann die Uni­versität besuchen, um sich zu einem Berufe vor­zubilden, der ihren Wünschen und Neigungen entspreche: auch wollte sie für Bücher, Kleidung, Taschengeld und alle erforderlichen Bedürfnisse Sorge tragen. Sie stellte nur eine Bedingung. Wenn die Knaben leichtsinnig Schulden machten oder durch ein schlechtes Betragen ihre Entlassung aus den Anstalten verschuldeten, so wollte sie ihre Hand von den Unwürdigen zurückziehen.

Dieser Brief blieb nicht unbeantwortet. Die

Eltern nahmen für ihre Söhne das Anerbieten an, aber jede Familie machte auch eine Be­dingung. Kurt schrieb, daß er für Leo das An­erbieten dankend annehme; er wünsche aber, daß der Knabe nicht mit seinem Vetter, Martin Rieding, zusammen dieselbe Anstalt besuche. Er halte gerade nicht viel von dem Charakter seines Neffen und fürchte einen schlechten Einfluß auf Leo. Marie Rieding schrieb auch; es war der erste Brief, den sie in ihrem Leben an die Schwester richtete. Sie wünschte, ihr talentvoller und reich begabter Sohn Martin solle in einer der vorn ehmsten Pensionen untergebracht werden, die nur zu finden sei. Er müsse sich die Söhne reich begüterter Leute zu seinen Freunden machen, denn nur durch vornehme und hervorragende Bekanntschaft sei es heut zu Tage möglich, später in der Welt ein gesichertes Fortkommen zu haben. Die reiche Frau lächelte verächtlich beim Lesen dieser Zeilen, dann nahm sie Helene's Brief zur Hand. Die Schwester hatte einen langen, ausführlichen Brief geschrieben und von all' ihren zehn Kindern berichtet. Sie war glücklich im Besitz dieser großen Familie, aber dennoch war der Brief mit ihren Thränen benetzt, die deut­liche Spuren hinterlassen hatten. Am Schlusse schrieb sie:Um unseres Kindes willen nehmen wir Dein Anerbieten an, aber ach, Angela, er­wecke nicht ein Gefühl nach Glanz und Reichthum in seinem jungen Herzen, damit er dem Eltern­hause nicht entfremdet werde."

Frau Marlitz ging auf alle Bedingungen ihrer Geschwister gern ein. Sie sandte die drei Knaben, die alle im vierzehnten Lebensjahre standen, nach verschiedenen Lehranstalten, aber vorher nahm sie dieselben, jeden allein, drei Tage in ihre Billa auf. Sie war nicht um­sonst eine lange Reihe von Jahren Kranken­pflegerin gewesen und hatte in ihrem Leben hin­reichend Gelegenheit gebabt, die verschiedensten

Charaktere zu studiren, und so lernte sie auch in den wenigen Tagen die drei Knaben genau kennen.

Leo von Wildenthals offener, ehrlicher Charak­ter gefiel ihr und erfüllte sie mit den besten Hoffnungen für die Zukunft. Martin Rieding war scheu, listig und verschlagen; er hatte keinen offenen Blick, und seine geistigen Fähigkeiten schienen auch nur sehr unbedeutend zu sein. Willy Berghaupt hingegen war ein schwächlicher Knabe, mit einem müden Ausdruck in seinem bleichen Antlitz. Ein lästiger Husten quälte und schmerzte ihn, dabei war er über sein Alter hinaus früh gereist, und die häuslichen Sorgen, unter denen er aufgewachsen war, hatten ihm die fröhlichen Kinderjahre geraubt.

Angela beschloß, zunächst, für das körperliche Wohl ihres kranken Neffen zu sorgen, darum übergab sie ihn der Pflege einer ihr sehr be­freundeten Familie, die in einer gesunden und stärkenden Gebirgsgegend wohnte. Sie wußte, daß hier alles zur Wiederherstellung seiner Ge­sundheit gethan wurde, und die Fortsetzung seiner Studien sollte nur langsam und neben­sächlich betrieben werden.

Die Bedingungen wurden von beiden Seiten treulich gehalten. Angela bezahlte alle Unkosten ihrer drei Neffen, aber keiner erhielt von ihr auch nur eine Zeile, und auch die Briese der Eltern ließ sie unbeantwortet. Die Ferienzeit verbrachten die Knaben in ihrem Elternhause; aber so wenig sie es auch ahnten, war die Tante doch ganz genau über die Fortschritte und das Betragen ihrer Schützlinge unterrichtet. So wußte sie, daß Leo mit Fleiß und Energie seinen Studien oblag, daß er die besten Zeugnisse und die ersten Preise seinen Eltern heimbrachte. Es war sein Wunsch, sich der Landwirthschaft zu widmen, er wollte später die landwirthschaftliche