kippische Tages-Zeitung

Ceneral-Anzeiger für das Fürstentum Lippe.

Meinaspreis: in Detmold'n. durch die Vertretungen: 50 Pfg für 1 Monat. durch#e Post: ½ Jahr 1,50 Mk. und 42 Pfg. Bestellgeld. für 2 Monate 1 Mk. u. 28 Psg. Bestellg., für 1 Monat 50 Pfg n. 14 Pfg. Bestellgeld. Auzeigen: aus Lippe 12 Pfg. die Petitzeile, amtliche u Familienanzeigen 15 Pfg., auswärtige 18 Pfg., Reklamezeile 60 Pf. Veilagen(umsonst): 1) Lipp Familienireund 2) Lipp Ziegelei=Anzeiger, 8) Landwirtsch Ratgeber, 4) Wandkalender. 5) Sommer=, 6) Winterfahrplan.

Notationsdruck u. Verlag: Willy Bruder. Detmold. Hornschestraße 30. Fernsprecher 10 Vertretungen in: Salzuslen. Lemgo, Lage. Blomberg, Horn. Barntrup. Schwalenberg; ferner in fast allen Ortschaften der Aemter Detmold. Schötmar. Oerlinghausen, Lage, Horn, Brale, Hohenhausen, Barenholz. Sternberg; Barntrup, Blomberg, Schieder. Schwalenberg; zusammen über 100 Vertretungen. DieLippische Tages=Zeitung erscheint jeden Wochentag.

N 171.

Verantwortlicher Redakteur: Willy Bruder, Detmold.

Detmold, Freitag, den 24. Juli I9os.

Telegramm=Arresse: Tageszeitung, Detmold.

13. Jahrgaug.

Kr.2

Die Zeutralstelle für wohlfahrt.

Die Zentralstelle für Volkswohlfahrt ist aus der im Jahre 1991 begründeten Zentralstelle für Arbeiterwohl­fahrtseinrichtungen hervorgegangen. An deren Gründung beteiligten sich die preußischen Ministerten für Handel und Gewerbe und für öffentliche Arbeiten, sowie eine Anzahl von größeren Woylfahrtsvereinen. Im Laufe der Zeit traten weitere Zentralbehörden Preußens und anderer Bundesstaaten bei, sowie verschiedene Reichsamter, Kom­munalbehörden, Handels= und Gewerbekammern, Vereine, große Firmen und Privatpersonen. Die Aufgabe der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen bestand in der Sammlung, Sichtung und Katalogisierung von Ein­richtungen im Sinne ihrer Bestrebungen, in Rat= und Auskunsterteilung und propagandistischer Tätigkeit. Es zeigte sich aber bald, daß eine Beschräntung auf das Gebiet der Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen bei den zwischen allen Zweigen der Wohlfahrtspflege bestehenden Wechselwirkun­gen nicht möglich war. Die Aufgaben wuchsen allmählich ganz von selbst über den begrenzten Rahmen hinaus. Ein Antrag des bekannten Parlamentariers und Menschen freundes Grasen Douglas im Juni 1904 im preußischen Abgeordnetenhause auf Schaffung einer Landeskommission für Volkswohlfahrt in Verbindung mit den sich daran knüpfenden Verhandlungen und Vorschlägen gab den An­stoß zur Umwandlung der Zentralstelle für Arbeiterwohl fahrtseinrichtungen in eine solche für Volkswohlfahrt am

5. Dezember 1906. Die Aufgaben dieser erweiterten Zen­tralstelle bestehen satzungsgemäß in der Herstellung einer Verbindung zwischen allen Organisationen auf dem Ge biete der Volkswohlfahrtspflege, in der genauen Besol gung auler solcher Bestrebungen im In= und Auslande, in Rat= und Auskunfterteilung, Anregungen bei den Regie rungen, in der Abgabe von Gutachten und Mitwirkung bei gesetzlichen Maßnahmen auf Erfordern einer Regie rung, propagandistischer Tätigkeit und in der Ausbildung zweckmäßiger Methoden aus dem Gebiete der Volkswohl fahrt.

Der Vorstand besteht aus sechzehn auf vier Jahre zu wählenden Ritgliedern, aus drei vom Reiche und fünf von Preußen zu ernennenden Mitgliedern und dem Geschäfts führer. Er kann sich durch Zuwahl von Vertretern solche Bundesregierungen, die einen entsprechenden Beitrag lei sten, ergänzen. Er verwaltet alle nicht der Generalver sammlung vorbehaltenen Angelegenheiten. Zur Vorberei tung von Verwaltungsobliegenheiten bildet er sich einen Verwaltungsausschuß von sieben Personen. Vorsitzender des Vorstandes ist gegenwärtig der inaktive Staatsminister von Moller, stellvertretende Vorsitzende und Ministerial direktor Dr. Thiel, Pros. Dr. Hitze und Abg. D. Dr. Gra Douglas. Dem Vorstande steht noch ein Beirat zur Seite.

Soeben hat die Zentralstelle für Volkswohlfahrt, die eine überaus vielseitige, segensreiche und von schönen Er folgen gekrönte Tätigkeit entsaltet, das zweite Heft der neuen Folge ihrer Schriften herausgegeben. Es enthält die auf der zweiten Konferenz der Zentralstelle im Mai

d. J. gepflogenen Verhandlungen und gehaltenen Vor träge zusammengesaßt unter dem Titel:Die Förderung und Ausgestaltung der hauswirtschaftlichen Unterweisung eingeleitet durch einen Vorbericht über den gegenwärtigen Stand der hauswirtschaftlichen Unterweisung in Deutsch land und im Auslande von Dr. jur. J. Altenrath und Dr. med. J. Kaup. Die dieser freien Tätigkeit obliegenden Aufgaben, sowie Gesichtspunkte für ihre Durchführung be handeln die Reserate von Frau Hedwig Heyl über die allgemeine Bedeutung der hauswirtschaftlichen Bildung" des Geh. Medizinalrats Prof. Dr. Max Rubner über Haushaltung und Volksgesundheit, des Stadtschulrats Dr. Georg Kerschensteiner überAusbau und Organisation der hauswirtschaftlichen Unterweisung", der Vorsteherin des Pestalozzi=Fröbelhauses II in Berlin, Fräulein Dora Martin überdie praktische Durchführung des hauswirt schaftlichen Unterrichts für schulentlassene Mädchen und der Vorsteherin des Kasseler Lehrerinnenseminars, Fräu lein Auguste Förster über denhauswirtschaftlichen Unter richt für Schulkinder. 44 Anlagen schließen den stattlichen Band ab.

Für alle, die auf dem Gebiete des hauswirtschaftlichen Unterrichts arbeiten, dürfte die Schrift gerade wegen ihrer Behandlung der grundlegenden Fragen vom höchsten In teresse sein. Der Zentralstelle aber. wünschen wir ein teres erfolgreiches Vorwärtsschreiten zu dem gesteckte weiten Ziele zum Segen des Volkes.

Politische Uebersicht.

Deutsches Reich.

* Detmold, 24. Juli 1908.

Der Kaiser auf der Nordlandreise. Ein Telegramm aus Molde von gestern meldet: Gegen Mittag klärte sich das Wetter auf, so daß der Kaiser einen Spaziergang auf die Höhe bei Molde unternehmen konnte. Der Aufstieg war recht schwer ausführlich, belohnte sich aber durch eine Aussicht auf sämtliche meist mit Schnee bedeckte Berge. An Bord ist alles wohl. Molde. 23. Juli. Der Kaiser arbeitete gestern vormittag allein und hörte abends Vorträge. Den Rest des Tages über blieb der Kaiser an Bord, da der Regen erst gestern abend nachließ. Vor der Abendtafel ging der Kurier wieder von Bord. Die Passagiere des Hamburger Touristendampfer: Meteor" besichtigten mit Erlaubnis des Kaisers dieHohen zollern.

Bülows Sommerurlaub. Wie derL.=A. vernimmt. ist es nicht unwahrscheinlich, daß der Reichskanzler Fürst Bü­low seinen Sommerurlaub auch in diesem Jahre unterbrechen

wird. Darüber, ob der Reichskanzler dem interparlamenta­rischen Kongreß oder dem Preßkongreß in Berlin beiwohnen wird. ist zur Stunde noch nichts bestimmt. Man nimmt an daß Fürst Bülow auf längere Zeit nach Berlin kommen wird um den Vorbereitungen zur Reichsfinanzreform im preußischen Staatsministerium zu präsidieren, sobald d. Pläne zu dieser Reform erst greifbare Gestalt angenommen haben.

Besuch Pichons in Berlin? Wie aus Paris verlautet wird der französische Minister Pichon auf der Rückreise aus Reval in Berlin Besuch machen.

Süddeutsche Meldungen wußten zu berichten, daß der Kaiser aus Anlaß der bekannten Aeußerungen des Fürsten Eulenburg über ein protestantisches Kaisertum ein Hand schreiben an den Prinzregenten von Bayern gerichtet habe. in dem die Aussagen richtiggestellt werden Diese Nachricht stellt sich jetzt als unrichtig heraus. Wie der Inf. an unterrichteter Stelle erklärt wird, ist von einem solchen Handschreiben des Kaisers nichts bekannt.

Frankreich und Deutschland. Paris, 23. Juli Der sozialistische Deputierte Marcel Senbat tritt heute in dem Leitartikel derHumanite für eine Entente vordial zwischen Frankreich und Deutschland ein. Er bedauert, daß die Nachricht von dem Zusammentressen des Kai sers mit Fallieres dementiert wurde, und fügt hin zu, diese Begeanung wäre mehr wert gewesen al die ganze übrige Reise Fallicres!Wenn wir die Lage mit kaltem Blut betrachten, so schließt der Artikel müssen wir zu der Ueberzeugung kommen, daß es keine glücklichere diplomatische Aktion gibt als eine Entente zwischen Frankreich und Deutschland. Wenn die Diplo maten nicht wollen, muß das Volk sie dazu zwingen, wie es sie nach Fashoda zu seinem Willen gezwungen hat. Wenn auch die Ansicht Sembats wenig prattische Beden tung hat, so muß sie doch als ein Zeichen der Friedenslieb registriert werden, von der nicht nur die Sozialisten, son dern auch andere politische Parteien in Frankreich in letz ter Zeit ein Zeugnis ablegen

Die Beschaffung von Militärluftschiffen wird in ab sehbarer Zeit einen sehr erheblichen, nach vielen Millionen zählenden Ausgabeposten in unserm Etat bilden. Das ist mit Sicherheit vorauszusehen. Was aber jetzt schon, so wird derFrankfurter Zeitung" sehr zutressend aus Ber lin geschrieben, in wärtigen Blättern über den Umsang der betreffenden Pläne und Anschaffungen berichtet wird, ist unbegründet, weil beim gegenwärtigen Stand der Sache, und weil die Versuche noch nicht abgeschlossen sind, auch noch keine bestimmten Entscheidungen getroffen werden können.

Vertreter der Landwirtschaft im Beirat der Ber­kehrsanstalten. Stuttaart, 23. Juli. Das Gesamttol legium der württembergischen Zeutralstelle für die Land­wirtschaft hat einstimmig für wünschenswer: erklärt, daß die Landwirtschaft im Beirate der Verkehrsanstalten besser vertreten sei, und daß die Zahl der Vertreter erhöht werde.

Die Zigarettensteuer hat im ersten Viertel des lau­fenden Etatsjahres 4 193 990 J erbracht. Für den Fall, daß die Einnahmen der letzten drei Viertel denen des ersten entsprechen, würde somit auf eine Jahreseinnahme aus der erwähnten Steuer in Höhe von 16,8 Millionen A zu rechnen sein. In dem Reichohaushalts#tat für 1008 ist die Zigarettensteuer mit einer Summe von 14,3 Millionen Mark eingestellt wonden. Unter der angegebenen Voraus setzung würde aus ihr also für das lausende Etatsjahr auf eine Mehreinnahme von nicht weniger als 2

sich überhaupt als eine derjenigen wenigen neuen Steuern gezeigt, die sich gut entwickelt haben. Schon im Etatsjahre 907 hat sie einen Ueberschuß erbracht. Sie war in den Etat mit 11,5 Millionen Mark eingestellt und hatte tatsäch lich rund 13 Millionen M erbracht, also Millionen A mehr.

Maroktanisches. Wie aus London gemeldet wird, hat der Korrespondent derMorning Post in Marokto Mr. Bart lett dort ein englisches Syndikat gebildet, um Mu ley Hafid jede Unterstützung auf den verschiedensten Gebieten zu gewähren. Bartlett hat Mulez Hafid versprochen Wafen und Munition für die Feldzüge zu verschaffen, auch Geld und alles, was Muley Hafid sonst benötigen würde. Muley Hafid seinerseits hat dem englischen Syndikat weit gehende Konzessionen für Eisenbahnen, Bergwerke, Bau arbeiten, für die Reorganisation der Finanzen des Landes elbst eine teilweise Kontrolle über die marokkanischen einnahmen zugesagt. Sechs Engländer befinden sich in als Ratgeber Muley Hafids und haben bereits einen großen Einfluß auf die Entwickelung der Ereignisse in Marrakesch er langt. Laut einer Tangerer Depesche derKöln. Zig" zieht die französische Einmischung bei Azemmut immer weitere Kreise. Im ganzen Süden bereitet das Hinterland d. Hafenstädte einen energischen Widerstand gegen die weitere Einmischung vor. Die Kabylen, welche den Fran zosen dienstbar gewesen waren, sollen überfallen werden. 5000 Reiter aus Fez sind nach dem Dukala=Gebiet unterwegs, 3000 stehen marschbereit in Marrakesch. In Azemmur weht, wie der Korrespondent derKöln. Ztg. aus zuverlässiger Quelle hört. über dem Hause des Sohnes des Kaids die französische Fahne. Die in Fez und Marrakesch einer Aufforderung Hafids gemäß eingetroffenen deutschen Kaufleute be gegneten allgemein dem größten Entgegenkommen. Sie schrei­ben, daß die hafidischen Behörden in beiden Städten die vollste Autorität haben. Der bei Tetüan durch Eingeborene ge fangen gehaltene Engländer Kennedy wurde freigelassen, wie verlautet ohne Lösegeld, auf Befehl Muley Hafids.

Deutsche Spione bei den englischen Flottenmanövern?

London, 23. Juli.Daily News meldet aus Grimsby. daß die englischen Seemanöver von deutschen Spionen beob achtet werden(?). Zwei Deutsche sollen auf einem englischen Fischdampfer 26 Stunden lang die englischen Unterseeboote begleitet haben, bis das Schiff weggewiesen wurde. Der Fall werde der Admiralität unterbreitet. Außerdem erregt die Anwesenheit des deutschen KanonenbootesZieten an der Nordostküste in der Nähe der Operationen Aufmerksamkeit.

Die deutsch=südwestafrikanische Südbahn. Der End punkt Keetmanshoop der deutsch=südwestafrikanischen Süd bahn ist am 21. Juni d. J. erreicht worden. Die ganze Bahn Lüderitzbacht Kcetmanshoop konnte nun dem vorläufigen öffentlichen Betriebe übergeben werden Die erste Strecke der Bahn Lüderitzbucht=Aus(140 Kilo meter lang), wurde am 15. Dezember 1905 von den gesetz­gebenden Körperschaften genehmigt. Am 27. Dezember wurde mit dem Bau begonnen und zehn Monate später, am 31. Oktober 1906, die Strecke bis Aus dem vorläufigen Betriebe übergeben. Nachdem am 12. März 1907 dann die weitere Strecke Aus=Feldschuhhorn=Keetmanshoop(von Kilometer 140 bis Kilometer 366) durch die gesetzgebenden Körperschaften genehmigt worden war, wurde am 1. April 1907 auch diese Srecke in Angriff genommen. Am 25. No­vember 1907 konnte die Bahn bis Feldschuhhorn(auf Kilo­meter 288) vorläufig in Betrieb genommen werden, dann weiter am 26. April d. J. die Strecke bis Seeheim(Rilo­meter 319) und nun das Schlußstück bis Keetmanshoop [Kilometer 366). In dem mit der ausführenden Baufirma der Deutschen Kolonial=Eisenbahn=Bau= und Betriebsge­sellschaft abgeschlossenen Bauvertrage war vereinbart wor den, daß die Strecke bis Kecimanshoop mindestens am 28. November dem vorläufigen Betriebe übergeben werden sollte. Die Bahn hat also fünf Monate früher ihren Endpunkt erreicht, als vertraglich festgesetzt war. Nach dem Banvertrage ist weiter vorgesehen, daß am 30. September 1909 die ganze Bahn im Ausbau fertig sein soll. Es ist jedoch zu erwarten, daß, nachdem der Vor­bau so bedeutend abgekürzt ist, auch der Ausbau vor der vertraglich festgesetzten Frist beendet sein wird und somit die Bahn schon vor dem 1. Oktober 1909 endgültig dem Verkehr wird übergeben werden können. Inzwischen ist auch die Strecke von Seeheim nach Kalkfontein in Angriff genommen worden. Diese hat eine Länge von rund 180 Kilometern. Nach den mit der ausführenden Firma getrosfenen Vereinbarungen ist zu erwarten, daß diese Strecke am 31. Juli 1909 im Vorbau beendet sein und erwa am 31. Jannar 1910 endgültig dem Betriebe über­Millionen zu rechnen sein. Die Zigarettensteuer hatlgeben wird. Auch die Ausführung dieser Zweigstrecke liegt

in der Hand der deutschen Kolonial=Eisenbahn=Bau= und

Betriebsgesellschaft.

Ueber den Stand der Feuerbestattungsfrage in

Preußen äußert sich eine Briefkastennotiz in der wohl gut­unterrichtetenFlamme, dem Organe der Verfechter der Feuerbestattung:Wir können Ihnen mit völliger Be­stimmtheit sagen, daß die Entscheidung beim Gesamtmint­sterium liegt, daß aber irgend welche bindenden Beschlüsse noch nicht gesaßt worden sind. Mit gleicher Bestimmtheit können wir hinzufügen, daß an den früher erwähnten sechs Punkten auch jetzt noch festgehalten wird; insbesondere wird der Betrieb eines Krematoriums nur Behörden, Ge­meinden, Kirchen usw. gestattet sein, nicht aber Vereinen oder privaten Unternehmern. Endlich steht fest, daß die Frage nicht durch Verordnung, sondern nur durch ein Ge­setz ihre Lösung finden wird, für das man an maßgebender Stelle die Mehrheit im Landtage mit ziemlicher Sicherheit erwartet.

Ein weißer Rabe. In der Chemnitzer sozialdemo­kratischenVolksstimme lesen wir:Wie wenig die An­nahme von der restlosen Verlotterung der Junkerklasse zutreffen würde, beweist der Name Zeppelin, der nächst dem Eulenburgschen ja vor demjenigen in den letz­ten 14 Tagen in aller Munde war. Auch er ein Graf, dessen Geschlecht in Ostelbien wurzelt. Und doch ist auf diesen Namen mit Recht jeder Deutsche stolz. Vorher schreibt dieselbe Zeitung in Bezug auf die Eulen­burg=Asfäre:Freilich wäre es falsch, danach die moralische Beschaffenheit der gesamten herrschenden, insbesondere adligen Gesellschaft von heutz einzuschätzen. Mau kann zugeben, daß es auch in diese Gesellschaftsschicht noc durchaus tüchtige und leistungsfähige. Per­sonen gibt. Gerade das Proletariat, das sie als die ihr seindliche Klasse betrachtet, darf sich hierüber keinen Illusionen hingeben; das würde sich im Kampfe nur rächen. Was werden Stadthagen und Rosa zu diesen Ausführungen sagen?

Die japanische Konkurrenz aus dem ostasiatischen

Markte. In dem Jahresbericht der Lüdenscheider Handels­kammer heißt es: Japan sucht nicht nur den ganzen Markt des Ostens zu erobern, es streckt sogar schon nach euro­päischen Absatzgebieten seine Arme aus und sucht seinen Waren, teilweise zu geradezu fabelhaft billigen Preisen, Eingang zu verschaffen; besonders gilt dies auch für Ar­tikel der Metallkurzwarenbranche. Die Industrie Japans ist hauptsächlich vermöge ihrer niedrigen Lohnsätze in der Lage, die europäische und amerikanische Konkurrenz auf dem Weltmarkte erheblich zu unterbieten. Wenn auch hier mit der Verbesserung der allgemeinen Lebenshaltung im Lause der Jahre eine Erhöhung der Löhne unabweisbar wird, so werden doch die in Deutschland zu zahlenden Lohnsätze von den Auswendungen für die Arbeiterver­sicherung ganz abgesehen in absehbarer Zeit nicht erreicht werden. Nach den omtlichen Erhebungen beträgt der tag­liche Durchschnittslohn eines japanischen Industriearbeiters kaum 1 M: Arbeiterinnen, die sich mit der Anfertigung von Streichholzschachteln befassen, beziehen sogar nur einen Tagelohn von 13.5 J. Der gewaltige Borsprung, den die japanische Industrie auf diese Weise hat, ist namentlich auf dem chinesischen Markte kaum einzuholen, und es ist daher nicht zu verwundern, wenn Japan auch den seinerzeit be­deutenden Absatz verschiedener Artikel der hiesigen Metall­warenbranche nach China vollständig an sich gerissen hat.

Das bauerische Beamtengesetz. Der bayerische Land­tag hat einstimmig ein neues Beamtengesetz angenommen. Damit ist eine stürmische und heiße Arbeit, welche sich auf die einheitliche gesetzliche Regelung der Gehalts= u. Rechts­verhältnisse der bayerischen Staatsdiener bezieht, vorläufig abgeschlossen. Man kann im allgemeinen nicht sagen, daß Gehaltsregulativ und Beamtengesetz in ihren wesentlichen Punkten die Wünsche der Beamtenschaft und die Aufsassung eines Teiles der Volksvertretung befriedigt hätte. Das Gehaltsregulativ enthält in seinen Einzelheiten viele Här­ten; sowohl bei den höberen, wie bei den unteren und mittleren Beamten gibt es eine Zahl von Kategorien, die durch die Neuordnung zunächst nicht bessergestellt wurden. Auch die Pensionsverbältnisse entsprechen teilweise keines­wegs den Wünschen der Berechtigten. Im ganzen freilich wird man sagen dürfen, daß die Beamtengehälter nun­mehr die Höhe erreicht haben, die sie in Bavern zurzeit überhaupt erlangen können. Denn der größte Teil der ultramontanen Partei ist traditionell beamtenseindlich. Ein wesentlicher Vorteil des Beamtengesetzes ist eigentlich nur, daß es nunmehr ein eigentliches Beamtenrecht gibt und die vielen Ministerialverordnungen aus der Welt geschafft sind. Die offensichtlichen Verschlechterungen des Gesetzes sind vor allem: Die Beseitigung eines Vorrechtes, das bis­ber der bayerische Richterstand hatte, nur mit vollem Ge­halt pensioniert werden zu können. Diese Bestimmung dokumentierte nach außen die Unabhängigkeit und Unab­

K

Albumblätter.

Nur die Sache ist verloren, die man aufgibt.

Lessing.

Wenn die Berge wandern.

Eine Geschichte von Haß und Liebe

von Karl Bienenstein.

(Nachdruck verboten.)

4

Der Hiehamer versprach Schweigen, aber er schüttelte immer wieder den Kopf. Daß der Brandebner seine Mitteilung so auffassen könne, war ihm nie in den Sinn gekommen. Er hatte dem Nachbarn damit nur ein bißchen Aerger über seinen Sohn anhängen wollen, damit auch er wisse, wie das sei, und nun hatte er ihm eine augenscheinliche Freude gemacht. Merkwürdige Welt das! Auf das mußte er sich noch ein Viertel Wein kaufen, obwohl der Brandebner erklärte, daß er ihm nun nicht länger Gesellschaft leisten könne, und fortging

Toni empfing den Vater mit wenig freundlichem Gesicht, was diesen heimlich belustigte.

*<space> I s<space> m i r<space> e i n<space> w e n i g<space> s p ä t e r<space> r.<space> r d e n,<space> w i e<space> i c h<space> g e s a g t<space> h a b',<space> meinte er,der Hierhamer hat mich durchaus ins Wirtshaus haben wollen.

*:Der könnt' auch gleich heimgehen! grollte der Toni.

Und ich mit ihm willft sagen, gelt? fragte der Brand­ebner launig.

Der Toni wurde rot, da er seine Gedanken erraten sah, doch knurrte er:Das hab' i nit g'sagt.

:Aber sagen wollen. Na, mir liegt nix dran. Aebrigens hast noch Zeit genug zum Wirtshausgehn.

Toni ließ sich das nicht zweimal sagen. Er hatte zwar sehr wenig Hoffnung, die Roserl noch zu treffen, aber für jeden Fall wollte er nachsehen. Vielleicht hatte sie sich, wie schon öfter, absichtlich in der Familie des Lehrers ein wenig ver­halten, dann konnte es noch immer möglich sein, sie auf dem Wege einzuholen. Sicher würde sie sich aus diesem sehr Zeit lassen, um ihm Gelegenheit zu geben, ihr nachzukommen.

". Als der Toni ins Dorf hinunterkam, trat eben der Berg­schießl ins Wirtshaus ein. Bei dem war der Fall mit dem

Haushüten umgekehrt gewesen. Das hatte er selbst besorgt, während die Roserl zur Kirche ging. Als er aber seine Tochter den steilen Hang zum Hause hatte heraufsteigen sehen, hatte er den Hut genommen und war fort, und da er den nächsten Weg benützte, nicht den, den sonst die Liebenden gingen, wenn Toni die Roserl begleitete, so war er früher im Dorse, als es sonst möglich gewesen wäre.

Toni war von dem Anblicke des Bergschießls nicht weniger als angenehm überrascht, denn er wußte, wenn der schon hier im Dorf war, dann mußte die Roserl schon daheim sein, und er könne sie also heute nicht mehr treffen. Aber was würde sie sich denken? Wie würde sie sich sorgen und grämen? Der Toni kannte ja die heimliche Angst der Geliebten, der das häusliche Elend so allen Glauben an ein dauerndes Glück genommen hatte. Was sollte er da tun? Er überlegte eine Weile, und dann war sein Entschluß gefaßt: er wollte hinauf zum Berg schießl=Haus, eine Gelegenheit, mit der Roserl ein paar Worte zu sprechen, würde sich sicher finden. Vor ihrem Vater konnte er sicher sein, denn der ging vor 9 Uhr gewiß nicht aus dem Wirtshaus, und der alte Knecht, der Steffl. und die alte Dirn auf dem Bergschießl=Hof waren. Einen Verrat brauchte er also nicht zu fürchten.

Toni schlug denselben Weg ein, den der Bergschießl ge­nommen hatte; aber so sehr er auch ansangs ausgriff. bald mußte er seinen Schritt mäßigen, denn der Pfad ging ungemein steil empor, so daß er wider Willen wiederholt stehen bleiben mußte, um zu verschnaufen. Darüber sank mehr und mehr der Abend, und als Toni die letzte Höhe nahm, die zum Hause emporführte, stand nur noch der Gipfel des Oedsteines im sterbenden Lichte des Tages und leuchtete wie eine im letzten Brand aufflagimende Fackel in den Himmel hinein, der sich schon dunkel gesärbt und mit dem ersten Sternenlicht geschmückt hatte.

Vorsichtig drückte sich Toni an den Saum des Hochwaldes, der auf der einen Seite knapp an das Haus herantrat. Er konnte von seinem Standorte gerade zum Nöhrenbrunnen hin­sehen, an dem, wie er sich zurechtgelegt hatte. Roserl Wasser holen mußte, wenn sie den Kühen ihren Abendtrunk bringen wollte.

Regungsloo stand er und paßte auf. Aus den Ställen kam der Lärm der Tiere. Die Schweine grunzten, und ab und zu brüllte eine Kuh auf. Dann wurde es immer ruhiger, und

Toni erkannte zu seinem Schrecken, daß die Fütterung und

Tränkung schon vorüber sei, und daß er die Roserl vielleicht gar nicht mehr zu Gesicht bekommen würde.

Hilllmellaudon! brummte er halblaut vor sich hin und fuhr sich erregt durch den Schnurrbart. Was sollte er nun tun? Ins Haus konnte er doch nicht eindringen! Und der Roserl irgendwie ein Zeichen geben? Aber wie denn und was für eines, daß sie hier stehen bleiben. Das Haus von rückwärts. von der Stallseite her. umkreisend, kam er, an dem Zaune des kleinen Hausgärtchens entlang schleichend auf den freien Wiesenplatz, dem die Front des Hauses zugekehrt war.

Da er hätte beinahe vor Freude hell aufgejauchzt saß die Roserl auf der Bank vor der Haustür und sah, die Hände im Schoße gefaltet, verträumt in die sinkende Nacht hinaus. Wie ein zartes Rosenlicht lag der letzte Schein des verglühenden Oedsteingipsels auf ihren Wangen und wob um das von dunklen Flechten umrahmte Mädchenhaupt einen leisen Schimmer, der es nur noch lieblicher machte.

Toni weidete sich einen Augenblick mit strahlendem Auge an diesem Bilde der Geliebten, das ihm so reizend noch nie erschienen war wie hier in der für ihn so gefährlichen Um gebung des feindlichen Anwesens. Dann aber rief er leise: Roserl!

Das Mädchen schrak aus seinem Sinnen auf und wandte die Augen groß und fragend nach der Richtung, aus der der Ruf gekommen. Hatte sie so lebhaft von ihrem Toni geträumt, daß sie die Einsamkeit mit seiner Stimme äffte?

Aber da kam zum zweiten Male der Ruf. und nun sah sie auch neben dem Gartenzaun die wohlbekannte Gestalt, im Zwielicht noch eben erkennbar.

Ein Leuchten flog über ihr Gesicht, das Herz begann in Seligkeit zu pochen, und am liebsten wäre sie auf ihn zugeeilt und hätte sich ihm jubelnd an die Brust geworsen. Doch es hieß vorsichtig sein. Sie erhob sich also von der Bank und gab Toni ein Zeichen, daß er zum Walde zurückschleichen solle, sie wolle gleich nachkommen.

Während Toni den Weg zum Walde schlich, ging Roserl ins Haus und fragte die Mutter, ob sie noch etwas brauche, denn wolle sie ein bißchen um das Haus herumgehen, die Luft sei heute draußen so gut. Die Mutter wollte nichts mehr von ihr. sondern meinte nur klagend wie immer:Geh nur, mein Gott, wie lang dauert's denn eh. und Du verlangst Dir g'rad so wenig mehr eine gute Luft wie ich. Die Friedhoflust ist die allerbeste.

Die Roserl hörte nur mehr die Hälfte der weinerlichen Worte. Tief aufatmend trat sie in die Dämmerung hinaus, und nach ein paar Minuten sank sie mit Aufjubeln in Tonis Arme. Eine Flut von Küssen zeugte die gegenseitige Freude über das so unerhoffte Wiedersehen.

Dann fragte Roserl, indem sie glücklich das Köpfchen an Tonis Schulter lehnte und mit schimmernden Augen zu ihm aussah:Wie is Dir denn das heut eingefallen?"

Ja, weißt. erwiderte er,i hab mir halt denkt. Du laßt wieder eine ganze Woche den Kopf hängen und am End' weinst gar. Und den Gedanken halt' i net aus.

A bißl hab' i eh heut schon gweint, gab sie lächelnd zu.

So. so, na wart, die Augen muß i denn ganz eigens strafen, meinte, er, schloß Roserl inniger in die Arme und drückte auf die selig gesenkten Lider und die glückstrahlende Stirn ein paar lange Küsse.

Aber Du. müd bin ich auch, meinte Toni darauf,wir könnten uns wohl ein bißl niedersetzen da auf den Stock er wies auf den breiten Wurzelstock einer abgehauenen mäch­tigen Bergfichtehast wohl noch ein bißl Zeit, was?

Roserl bejahte, und nun erzählten sich beide, wie es eigentlich gekommen war, daß sie sich nicht getroffen hatten. I weiß nit. schloß der Toni seine Erzählung,spannt mein Vater was oder nit? Heut wär's mir schon gleich so vor­kommen. Aebrigens liegt nix dran, einmal muß so wie so ge­redet sein, und wenn's ein wenig früher g'schieht, als ich g'meint hab', liegt a nix dran. I gib nit nach, das sag' i gleich, denn wie sollen die Kinder dazu kommen, daß sie unglücklich werden, weil ihre Väter einmal was miteinander gehabt haben! Und wenn man's doch wenigstens wissen tät, was sie g'habt haben! Aber kein Mensch sagt einem was. Das is dem Pfarrer sein Werk.

Sei frob sagte Roserl still,vielleicht bist so glücklicher.

Glücklicher. nein. Wenn man unter was zu leiden hat, so möcht man doch auch wissen, was es ist. Und ich kanns nicht glauben, daß es so arg ist.

Roserl kämpfte einen schweren Kampf mit sich. Dann schlang sie den Arm um seinen Nacken und bat:Toni, gib mir a Buss'l. Und als er das, befremdet von dem halb leidenschaftlichen, halb angvollen Ton in ihrer Stimme, getan hatte, bat sie nochmals:Roch eins! Ein drittes!

(Fortsetzung folg.