Ein Junge. Ven Binmi Schelt. Mitton zwischen den öslichen Wohnvierteln liege der große Bokkopark und mitten darin der Kinderspielplatz, eine ausgedednte Sandfläche mit Busdeltäben und Turngeräten und dem wundervollen Planschbeiten. Das Beste an diesem Planschbechen in das Fletz aus wiegelglatt bedodelten Bohlen, das man als Kriegsschiff denutzen kann, um die kleine. künstkiche Intel zu erodern, die sich einen halden Meter über dem Wasser erhebt. Während des ganzen Sommers hören der Lärm. das Gekreisch, das Gelächter, der lustige oder ernsthaste Zank um dieles Floßz und um die kleine Steininiel nicht auf. Rings um den Platz herum, schon im Schatten der Rastanien und der mächtigen Pappeln, sehen die Bänke. deren Benutzung unentgeltlich ist. und die einzelnen Stühle für diejenigen Mütter, denen es anf die Gedühr von fünf Pfennigen nicht ankommt. In dem Bereich der Füni=Pfennig=Zone gebt es bei weitem ruhiger zu als bei den Bänken. Die Kinderwagen, die hier stehen. leuchten und blitzen nur lo vor weißem Lack und Rickel und Vornehmheit Manchmal entsteht zwischen den Kindern ein Zank Dann#ind die Mütter sofort auf dem Plan. trennen die Streitenden, beschwichtigen, beruhigen und nehmen sie in ihre schützenden Arme. Der Friede ist dets rasch wieder hergestellt, denn es sind wohlerzogene und wohlbehütete Kinder in dieser Füni=Psennig=Zoue, die gewöhnt sind. sich darauf zu besinnen, was man tun dari und was nicht, was shicklich und was unschicklich ist, und sie wissen vor allem, daß man nicht laut sein und sich nicht chmutzig machen darf. Dort, we die Reihe der Mietstühle zu Ende ist. ##t ebleits von den andern eine junge Mutter und liest ihren Roman. Es ist nachmittags. ein heller, warmer Jnninachmittag mit flimmerndem Licht und einem leichten Wind. Die junge Mutter in in ihr Buch vertieft. vergißt aber nicht, nach jeder Seite einen Blick auf ihren Jungen zu werhon, der vor ihr im Sande spielt. Er wirkt kleine Erdhügel auf, klatscht den Sand mit seinen kleinen, rosigen Händen fest und bohrt dann mit einem Schixpenstiel in die Abhänge Höhlungen hinein. Es sollen wohl Burgen sein. was er da baut, denn an die Eingänge der Höhlungen sellt er kleine Holzkücke: das sind die WachtEr mag etwa fünf oder sechs Jahre alt sein und in eigentlich schon zu groß, um hier zwischen den Kinderwagen unter den Augen der Mutter folgsam vor sich hin zu spielen. Er is ein Kämmiges Kerlchen, untersetzt, mit dickem, rundem Kopf und dunkelblonden, wideripenstigen Haaren. Seine Scheukel sind fest und prall. Gekleider ist er wie ein Mädchen. Er trägt einen zarten, dellen Luftanzug. hübsche, bunte Sandalen und weihe Söckchen. Sein Benehmen aber ist gar nicht mädchenhaft. Er ist mit Hingabe bei leiner Arbeit. Er baut und sellz die Posten auf und wirft keinen Blick auf eine Mutter, die nicht vergißt. nach jeder Seite zu ihm hinzusehen, ob er auch artig ist und seinen niedlichen Anzug nicht verdirbt. Manchmal aber wird er abgelenkt. Wovon eigentlich? Von dem Lärm ringsumher? Von dem Kriegsgeschrei, das aus dem Planschbecken kommt? Von dem lärmenden Kampf, der sich um das Flotz und um die Insel entsponnen hat? Er beht nicht hinüber. Er hebe nur horchend den Kepf. Seine Augen verlieren den gesammelten Blick, seine Brauen runzeln sich, und sein Gesicht wird unwirsch und unzufrieden. Dann haut er mit einer zornigen Bewegung die ganze, mühsam aufgebaute Burgenherrlichkeit zusammen. Wahrscheinlich weiß er selbst nicht, was ihm sohlt. In ihm ist eine Unruhe. Er läuft umher, dehr unschlüssig da und zerstört seine Bauten endgültig mit den Fühen. Fast verächtlich besieht er die Trümmer. „Was hast du deün?“ fragt seine Mutter zärtlich und legt ihr Buch für einen Augenblick weg. Er seht sie an, läßt sich unter ihrem Blick gehersam auf den Boden fallen und beginnt von neuem. Eine Weile geht es wieder. Dann muß er ebermals aufhorchen... Um das Floß ist eine wilde Schlacht im Gange Fünf. sechs Jungen haben es erobert, stehen auf dem kippenden. wippenden Boden und verteidigen es mit Heldenmut gegen die, die aus dem Wasser gegen sie anstürmen. Dann und wann klatscht einer ins Wasser, krabbelt sich wieder hoch, ein anderer Pehzt schon an seiner Stelle auf dem Floß, behauptet einen Platz mit Rußtritten und Faustschlägen Es in kein sanftes Spiel, sondern— eine herzhafte Rauserei. Man weiß nicht, ob dabei noch gelacht oder schon geheult wird. Der Reine Junge richtet sich auf den Kuien empor und starrt hinüber. Er hat weite Augen bekommen, und seine rosigen Nasenflügel zucken. Er nestelt an seiner Bluse. stößt einen kleinen Ruf aus, der sich anhört wie der dumpfe Blaffer eines fungen Hundes, und steht auf. Seine Fäuste sind gebelt Drüben im Planschbecken haben ein paar besonders kräftige das Floß an einer Ecke hochgeschoben, und die ganze Besatzung rutscht ins Wasser. Der kleine Junge kreische vor Vergnügen mit, und wie die neue Besatzung das Floß erobern will, da schnellt er sich vom Boden ab und rennt... Er kolpert. fällt. rafft sich auf. taumelt, rennt weiter. weiter, hinein ins Wasser, ins Gedränge, vorthin. we der Kampf tobt. Seine Mutter fährt erschreckt auf. will ihm nach, sie hat keine Ahnung, was in den Jungen gefahren ist. Er zerteilt schon mit seinem Bauch das Wasser, daß es rechts und links zur Seite spritzt. Er stürmt auf das Floß zu, bekommt, als er grade hinaufklettert, einen Hieb gegen die Schulter, der ihn umwirft. Da läuft seine Mutter ihm nach, aber sie kommt nur bis an den Rand des Wassers, bleibt dort stehen, hilflos, verstört, das Buch in der Hand. Sie rust hinter ihm drein, ruft seinen lamen aber er hört nicht. Prustend und schnausend taucht er aus dem Wasser auf. schüttelt sich. und sein schöner, bunter Luftanzug sitzt ihm klitschnaß um den kleinen. stämmigen Körper. Er sieht gar nicht mehr wie ein kleines Mädchen aus, denn sein Gesicht ist vor Eifer verzerrt. es flammt vor Schmerz und vor Kampfeszorn. Ihn erreicht kein Rufen mehr, kein Locken. keine Zärtlichkeit. Er steht zwar noch einmal zurück, aber er erkennt seine Mutter nicht mehr. Und wie er von hinten einen zweiten Stoß bekommt, wie er, durch Erfahrung gewitzigt, seine Füße einstemmt in den Boden, da vergißt er sie ganz. reißt sich herum, stößt ein helles Gekreisch aus. umichlingt von hinten den kleinen, dicken Jungen. der ihm zuvorgekommen ist, zerrt ihn herunter, kößt ihn ius Wasser. gibt ihm noch einen Stoß mit der Schulter, damit er möglichst weit ins Wasser fliegt. und klettert selber auf die Planken. strampelnd schnaufend. Tritte austeilend gegen die. die seine Fühe packen wollen. Und dann steht er oben, breitbeinig, die kleine Brust gewölbt, die Arme hochgeworsen— ein winziger. trunkner Sieger. Im nächsten Augenblick fliegt er wieder hinunder, von neuem muß er um sich schlagen und Tritte austeilen, um den Platz da oben zurückzuerobern, und er tut, was er kann, er kämpft. schlägt um sich, schreit lacht, heult— alles in einem Atem. Die junge Mutter kehrt langsam zu ihrem Fünf=Pfennig=Stuhl zurück und setzt sich nieder. Das Buch liegt nutzlos in ihrem Schoß. Sie blickt auf die.verlassenen Spielsachen, und manchmal glaubt sie, das wilde Sieger= oder Schmerzensgeschrei ihres Jungen zu hören. Ihr Herz ist schwer wie nie zuvor. O ja, er wird wiederkommen, geschunden, zerbeult zerrissen, aber mit glänzenden Augen. Er wird zu ihr zurückkehren und ein Weilchen bei ihr ausruhen und seine Arme um sie legen wie sonst. aber er wird etwas ungeduldig aufsehen, wenn sie ihn küßt und halten möchte. Er wird wieder bei ihr sein, aber nie mehr wird er ihr ganz gehören und niemals mehr ganz und gar ihr eigen sein. Da draußen steht er auf der kleinen Insel, die er sich mit einigen anderen erobert hat. mit blitzenden Augen. bereit, sie zu verteidigen. und auf seinem Gesicht leuchtet ein Glück, so trunken, so jubelnd, wie sie es ihm nie hat geben können. Sämann der Hleimat. Von Wilhelm Lennemann. Der Bauer Heinrich Enders war kein reicher Mann; aber nun war ihm auch noch sein Weniges genommen worden. Vor mehr als hundert Jahren waren seine Urahnen als Kolonisten aus dem Altpreußischen eingewandert in das polnische Land, das nun deutsch werden sollte. In fünf Geschlechtsfolgen hatten sie aus Sumpf und Brachland fruchtbaren Weizenboden geschaffen, mit vielen andern Bauern die Provinz eingedeicht in den festen Bestand des preußisch=deutschen Landes. Aber der Krieg war gekommen und das Friendsdiktat; was galt da den Herren die ehrliche deutsche Arbeit die Jahrhunderte hindurch! Sie zerrissen den Osten, wie ihnen Willkür und Haß das geboten. Der Korridor entstand; deutsches Land und deutsche Arbeit gingen verloren. So faßte der Bauer Enders den Entschluß, wieder in das Land seiner Väter zurückzuwandern. Er gab Aecker und Eigen für ein Weniges hin; nur das Notwendigste, das mit der Lust und dem Leid seines Geschlechts innig verknüpft war, packte er auf einen Wagen, setzte Weib und Kind darauf. spannte den Braunen davor und machte sich zum Aufbruch bereit. Schon wartete sein Weis darauf, daß er abjahren werde, da ging er noch einmal in seine Hutte. Er jah sich mit schmerzenden Augen um, als müsse er gewaltsam in sein Gedächtnis schließen, was der Wagen nicht fassen konnte. Dann löste er mit der Brechstange einen schweren Stein aus dem Boden und hol ihn mit äußerster Kraft auf den Wagen Ebenso schleppte er als letztes Eigen einen prallen Sack herbei und verstaute ihn zwiichen Pflug und Stein. Sein Gesicht war hart und eisern, als er diese Arbeit getan. Aber es hatte sein müssen, und nun war er dessen froh. Ein matter Glan, kam in seine wehen Augen. Es huschte über sein Gesicht wie Triumph und Sieg. Nun glaubte er, seine Heimat und sein Geschlecht versöhnt zu haben. Ihm bangte nicht mehr um das Glück seiner zukünftigen Tage; denn er nahm die Heimat und das Erinnern an seiner Bäter Wirken mit in das neue Land. Sie waren an die Wunderdinge gebunden, die er gläubig mit sich führte.——— „Hü. Liese!". Das Pferd zog an, der Bauer Enders verließ das Land reiner Väter. Stumm und schwer schritt er neben dem Tier dahin. Zu Boden sah er, als er an seinen ehemaligen Aeckern vordeifuhr. Ein heißes Weh drohte in ihm aufzusteigen. „Hü. Liese!“ Wie ein erstickter Schrei klang es. Das Dorf lag hinter ihm. Sie fuhren durch weite, flache Felder. Der würzige Duft der gebrochenen Schollen umfloß sie weich und schmeichelnd. Der Bauer fühlte etwas von der gärenden Kraft, die dem Boden entstieg und der Saat harrte. Und er freute sich, daß er diese Schöpferkraft seiner Heimat eingefangen hatte und mit sich führte. Und er hob seine Augen, und sein Herz wurde stark und froh. So fuhr er dem alten Mutterland Deutschland zu. Nach Tagen erreichte er es. Es wurde ihm warm ums Herz. Sein Blick hellte sich auf, eine Kraft, die fast zerschlagen war, wollte wieder lebendig werden. In dem Lande, das er sich gedacht, und in dem Dorfe, das ihm gut dünkte, erstand der Bauer einige Husen gerodeten Waldes. Als er nun mit allem einig geworden war und sein Zukünftiges abgesteckt hatte und der Maurermeister schon die Schnor zog, wo die Hauswände stehen sollten, hielt ihn der Bauer an und fuhe auf seinen Karren den großen schwärzlichen Stein herbei. Er maß mit bedächtigen, ernsten Schritten den Raum ab, von links nach rechts von vorn nach hinten. Nun hielt er an und machte ein Zeichen: dahin wälzte er den Stein und legte ihn fest. Lange stand er vor ihm, wie im Gebet.„Hier, Meister, soll das Herdfeuer sein. Auf diesem Stein, den mein Urahn gelegt, soll es brennen. Und nun baut das Haus um den Stein herum, Gott gebe seinen Segen!" Dann schritt er hinaus auf sein Land. Er überschaute es und sein Auge teilte es in Wiesen und Aecker. Da wogte die Saat, da blühte das Korn, da blinkte die rasche Sense durch die wogenden Halme, und die Wagen fuhren vor und knarrten schwerbeladen auf den Hof. Der Bauer holte den Pflug. Er spannte das Pferd vor den Pflug, er setzte das blanke. Eisen in die Erde und zwang es mit tiefem Schnitt durch den Boden, den noch keiner Bauern Eisen durchwühlt hatte, über den noch keine Wünsche und Hoffnungen, keine Not und keine Erntefreuden dahingegangen waren. Es war jungfräuliche Erde, die seinem Geschlecht dienstbar werden sollten. Hoch und ernst ging der Bauer mit steifen Schritten hinter dem Pfluge; Furche und Furche zog er. Sein Herz wurde warm, seine Augen lohten auf in tiefer Freude. Und dann wurde es wieder ganz still in ihm. Zum zweiten Male trat er an den Wagen und tat in das umgehängte Saattuch von der braunen Erde, die in dem mitgebrachten Sack war. Schwerer wurde sein Gang. Feierlich trat er auf die Schollen, griff eine Handvoll heimatlicher Erde und warf sie wie kostbare Saat in weitem Bogen über den Acker hin. So mag Gott in Schöpfungstagen mit gereckter Hand die Sterne über den Himmel dahingestreut haben. Und er säte den Heimatgrund über das Neuland, daß es ihm seine Gnaden und Güten verleihe und der Segen der Heimat ihm wiedererstehe, seiner Saat und seinem Geschlechte, seinem Hofe und seinem Namen. Mit feierlicher Gebärde säte er seine braune Saat bis an des Ackers Ende. Und ein heiliges Feuer brannte in ihm und verzehrte, was noch kleinmütig und ängstlich in ihm gewesen war. Er wollte die Fremde zwingen durch die Kraft der Heimat. Die Sonne umstrahlte ihn in goldenem Glanze. Der Acker dampfte, und tausend Schollen riefen ein jubelndes Amen. So nahm der Bauer Enders seine Aecker in Besitz und wandelte sie in Heimatland. Er breitete seine Arme aus, als müsse er Haus und Hof und Acker in Liebe umfassen; er kniete nieder und küßte die Erde. die seine Heimat geworden war. Wochenschrift zur Erbauung und Unterhaltung für das christliche Haus Bellen pim Coninal-Bollchten Krusberg, den 18. Rugust Mutter und Kind. Herbstsonne liegt über der Großstadt. Die Menschen wandern nach draußen. Vater und Mutter gehen zum Friedhof, der wie ein Park Schatten und Ruheplätze spendet. Weiter gehts nicht. Der erthalb Jahre alt älteste Junge ist lgeben anderthalb Jahre alt geworden, und im Wagen liegt der Kleine, sechs Wochen alt. Die Mutter ist noch schwach und vermag nicht längere Wege zu gehen. Was sich drauken in der Welt begibt, das weht spurlos vorüber. Der Aelteste plaudert, manchmal in seiner Sprache, die die Mutter dem Vater zuerst übersetzen muß. Aber wer in die Augen des Vaters sieht, weiß, wie er stolz ist über seinen Reichtum. Sie sitzen auf dem Friedhof im Schatten auf der Bank. Der Kleine, sie nennen ihn nach Theodor Storm den„Häwelmann“, liegt schlafend in den Auf dem gesunden Kinderleben steht immerdar die Sonne des Frohsinns. Der Himmel lacht leuzlich, und in den Nächten scheinen silberner Mond und goldene Sterne. Die Erde aber ist schön; sie ist immer schön, ist überall schön.— Keine Welt kann schöner sein als Kinderwelt. Wir Großen schreiten manchmal mit tapsenden Schritten durch die Tore dieser Welt. Wir zertreten zarte Würzelchen, wenn wir auch behutsam auf den Fußspitzen gehen. Wir bleiben immer fremd in diesen Reichen. Nur du, Mutter, bleibst im Kinderland! Du schreitest, als wenn die Füße der Engel durch den Abend gehen! Du fühlst, selbst wenn du für deine Kinder das Licht der Augen hingeopfert hättest, wohin dein Fuß sich senken darf! Du kennst die Wunder dieser Zonen und das Ewige ihrer jungen Bewohner! Du kennst die Märchen dieses Landes und die Geheimnisse, die hier die Bäche und Ströme rauschen! Du hörst mit seinen Ohren die Gesänge all jener, die von hier aus den Weg zum Himmel nahmen! Deine Tränen netzen als Tau allmorgendlich die Gräser und tränken die Blumen zu neuem Leben! Deine Hände jäten das Unkraut und reißen niemals eine Blume aus! Deine Hände falten sich zum Gebete und holen Gottes Segen auf diese Gefilde! Dein Herz klopft den Rhythmus dieser jungen Menschenkinder immerzu, wenn es dadurch auch allzu rasch müde wird! Deine Seele lebt in dieser Welt, wenn deine Füße auch durch Elend schreiten müssen! Du siehst das Kind, das hier in diesem Lande wohnt! Du lebst in ihm, doch wir vermögen nur an ihm zu handeln! So sollst du Führerin uns sein! Dämmerung ist gekommen. Die Luft ist linde und der Wind ist weich. Am Himmel träumen stille weiße Wöllchen. Der Mond steht hoch im Abendblau. Auf dem engen Balkon der Zweizimmerwohnung, zu dem von der Küche aus die Tür sich öffnet, steht die junge Mutter mit ihrem Kindchen. Es strampelt und möchte laufen, aber es ist mit seinen sieben Monaten doch noch zu schwach dazu. Die Mutter singt das Lied vom Mond, der die schönsten Schäfchen hat. Das Kindchen lauscht. Es versteht nichts, und es versteht doch alles in der Mutter. Und die Mutter kann die alten Lieder plötzlich wieder, weil sie Mutter geworden ist. Sie erzählt dem Kinde vom Monde, der einmal— da taucht eine Erinnerung aus der Schulzeit auf, zu einem kleinen Jungen ins Bett gekommen ist... Das Kindchen lauscht, ohne den Sinn der Worte zu begreifen. Aber es streckt die Händchen aus und greift nach dem Monde.— Die Kindesseelenkunde hat für diese Handlung des Kindes eine gute und gewiß richtige Erklärung; sie weist darauf hin, daß das Kind, ohne alle Erfahrung, ohne den ausgebildeten Raumsinn, die Tiesenausdehnung noch nicht kennt und daher Wünsche und Wirklichkeit miteinander mischt.— Die Tatsache selbst wird damit erklärt, das Wunder des Erlebnisses aber verblaßt niemals dem, der einmal selbst daran Anteil hatte.— Kinderwelt! Sommerliches Wiegenlied. Wehe, lieber Sommerwind. wiege mir mein liebstes Kind. wiege es in lauter Licht. streichle leis sein Angesicht. Sonne, schöne Sonne du, lache meinem Kinde zu, laß es wachsen und gedeihn. deines Lichts ein Spiegel sein. Erde, aller Mutterschaft tiefe, stillverborgne Kraft, gib du ihm aus deinem Schoß eines starken Lebens Los. Gras und Blumen, Tier und Baum silberklarer Himmelsraum. schenkt ihm alle eure Freude. ihm und euch zur Augenweide— Bis es selber, groß und gut, sern von seiner Mutter Hut, in die Sonne, in die Sterne seine Fahrt zu lenken lerne. Wilhelm Luetiens. Armen der Mutter. Der Größere hat zunächst mit dem Vater auf die Spatzen gelauscht, die im Lindenbaume schimpfen, aber nach fünf Minuten hält er das auch nicht mehr aus. Er versucht die Kunst des Laufens. Das wollte lange nicht recht gehen, denn die Nachitis hat das Kind krank und schwach gemacht. Nun ist aber auch das überstanden, und der Junge tobt geradezu. Manchmal freilich ist er noch unsicher. Dann heißt es, im Gleiten herunter gehen oder einen Halt suchen. Er kennt seinen Weg, vom Vater zu dem grohen Steine auf der anderen Wegseite. Vom Steine zurück in die Arme des Vaters. Das macht nicht müde. Das ist wunderschön. Einmal läuft er ganz schnell zurück und verfehlt sein Ziel. Fast wäre er hingepurzelt. Im letzten Augenblick umklammert er ein schlankes Baumstämmchen. Ungewohnt tastet fahrgang 1936 er mit den Händchen hin und her. Er versucht nach oben zu schauen. Das ist groß, so sehr groß. Aber er hat die Lösung des Rätsels gefunden.„Onkel“, ruft er laut aus und klopft mit den Händcheu vielmals an den Baum. Vater und Mutter lachen. Ein paar Fußgänger, die vorbeikommen, werden mitangesteckt. Ste sehen sich mehrfach um nach dem„Drolligen" Kinde. Aber das ist ja gar nicht drollig, was das Kind da tat, es ist nur natürlich. Denn der Outel, der in seinem Leben steht, hat lange Beine. an denen man sich festhalten kann, wenn man anfangen win zu fallen. Und das, was man hier umklammert hat, ist ebenso dick und ebense hoch wie das Bein des Onkels. Warum soll es der Onkel nicht sein? Wer Kinderwelt kennt, weiß, wie oft die Kleinen gerade in dieser Weise ihre Welt sich dauen. Richts Neues kann sein, was Staunen erregt.— Sie werden mit allem fertig weil sie alles Neue nach dem schon Bekannten denten. Und auch dann, wenn wenig Aehnlichkeit vorhanden ist: so viel findet sich immer, daß die Bildkraft des Kindes Anhalt genug hat, um die Deutung vornehmen zu können. Hier liegt nun einer der wesentlichsten Anterschiede im Erleben des Kindes im Gegensag zum Erwachsenenleben. Wir nennen die hier tätige geistige Kraft ja die Phantasie und bedenken dech nicht folgendes: Beim Erwachsenen sprechen wie dann von einer recht großen oder starken Phantosie, wenn der Unterschied zwischen der wirtlichen und der eingebildeten Welt recht groß in. Beim Kinde aber ist das was wir gewöhnlich Phantasie nennen, die Fähigkeit, den Unterbeiden Welten möglichs u überwinden. Das## schied zwischen diesen gars unmöglicht est in der ein Abtand. Deutungen im Kinderparadies: Der Kleine, etwa zwei Jahre alt, sitzt an der Erde und spielt. Plötzlich fängt er an zu weinen. Die Mutter fragt: Was ist dir, Kind? Das Kind weint weiter. Es hört zu spielen auf und kriecht zur Mutter, weint weiter, schluchzt: Muttilein, ganz artig sein! Siebt groß aus den Augen zur Mutter hinauf, die das Jüngste stillt. Sie legt das Kleinste zur Ruhe und nimmt den andern auf den Schoß. Durch die Kleider dringt die Wärme des Kindes. Die Mutter fühlt das beste Fieberthermometer des Kindes, die Ohren, an. Die sind heiß zum Brennen. Das Kind ist krank. Was mag ihm sein?„Muttilein ganz artig sein!“ verspricht der Bub weiter. Er muß das Mündchen öffnen, und was die Mutter fürchtet, erzeigt sich als wahr: Der gerötete Hals ist mit zahlreichen weißen Flecken bedeckt.— Angina.— Run ist auch das plötzliche Fieber zu erklären. Aber warum sagt das Kind immer: Muttilein, ganz artig sein? Nun, auch das weiß die Mutter richtig zu sagen. Schmerzen hat das Kind bisher erleiden müssen, wenn es unartig war. Dann mußte es gestraft werden.“) Wenn es artig war. bekam es keine Schläge. Jetzt hat es Schmerzen, als deren einzige Ursache es bisher die elterliche Strafe kannte. Wie diese gegeben wird, darüber ist ihm nichts bewußt. Sicher ist aber— vom Kinde aus gesehen, daß diese Strafe von der Mutter kommt. Wenn es artig ist, tut die Mutter dem Kindchen nicht mehr weh. Darum will es also„ganz artig sein“. Körperliche Züchngung lüdt sied am edetten veoantworten in den drei ersten Lebensjahren, bis zur ersten Trotzperiode. In dieser ersten Zeu läuft das ündliche Leben sehr stark mechauistert ad. nach Assozialonen: Verstand und Einsicht sind sehr schwach entwickett. Wenn in dieser Zeit ein(objektives) Unrechttun eine Strafe nach sich zieht, bewirkt die Zurcht vor der Strafe auch ein Zurückdrängen des fachlich nicht richtigen Verhaltens In späteren Jahren in körperliche Züchtigung meist Eingeständnis der Erzieher, daß ihnen zur Aufbauarbeit entweder die Befähigung oder der Erns und die Ausdauer sehlen. 9 * * 8 1 8* 9 9 22 9 3 8 9 2 * 2 "— ton 218 Seig 14; Mge 23 Mu Mn gunhant banzs 1207 Mi m M nn e hnng Suug nn Sizug unhud sg uii mmn zus 126 gu uci iham umt gunie 120 Buum Au nue Suu M og die ii pishasc timmc mug sud W Suleg u mzzu 1 gun zhom Me aen ug Es gibt eine Zeit im Kinderleben, in der das Kind besonders gern fragt. Vom vollendeten zweiden Lebensjahre ab drängt die Frage„Warum“ alle andern bisherigen Fragformen in den Hintergrund. Das hat seinen Grund, wie wir genau wissen, in einer besonderen Entwicklung des Kindes. Wenn man diesen Fragen lauscht, kommt man immer in ein neues Verwundern. Vorfrühling und Abend. Der Mond scheint. Der Kleinste liegt im Wagen und soll schlafen. Er mag aber noch nicht und wehrt sich dagegen durch lautes Schreien. Die Mutter sitzt beim zweijährigen Aeltesten und betet mit ihm. Der Junge, sobald die Mutter das Amen gesprochen und ihn gesegnet hat: Mutti, warum schreit der Walter? Weil er schlafen soll. Warum soll er denn schlafen? Weil es dunkel wird. Warum wird es denn dunkel? Weil die Sonne nicht mehr scheint. Warum scheint denn die Sonne nicht mehr? Weil sie für die anderen Menschen auch scheinen uuh. Ja, warum scheint sie denn nicht für alle Menscher gleich? Weil der liebe Sott es so haben will. Das ist eine Ausflucht, aber es ist doch auch so, daß nicht nur Narren, sondern auch Kinder mehr fragen können, als zehn Weise beantworten können. Nur die Mutter hat erreicht, was sie will. Beim lieben Sott hört für das Kind die Kritik, die doch im Warum liegt, auf.— Das Kind über der Familie wohnt) gehört, wohl damit in den Himmel zum lieben Gott kommen?— Und damit nimmt das Plandern eine neue Wendung. Wenn ich dies Zwiegespräch so niederschreibe und dann nachlese, dann erscheint es mir fast unmöglich, daß Kinder von—3 Jahren so fragen können. Aber ich habe Dutzende solcher und ähnlicher Gespräche sofort niedergelegt, nachdem sie zu Ende waren, und ich muß schon den Zweiflern gegenüber die Mütter zu meinen Zeugen anrufen, damit sie mir zustimmen: Jawohl, so und noch viel wunderlicher und verwunderlicher sind Kinderfragen. Und es ist notwendig, hier noch ein anderes hinzuzufügen. Man kann dem Kinde gar keinen chlechteren Dienst erweisen als dadurch, daß man solche und ähnliche Fragen in seiner Gegenwart oder auch nur bei sich selbst wichtig nimmt. Man zieht dadurch eine Eitelkeit im Kinde groß, die sich leicht Spielgefährten gegenüber als Ueberheblichkeit kundtut und damit das Kind zu einer selbstsüchtigen und asozialen Gesamthaltung in späteren Jahren drängt. Jedes gesunde Kind durchlebt diese Zeit, auch dann, wenn es nicht sehr begabt ist. Lediglich zeigt der Zeitpunkt dieses Fragealters ziemlich deutlich an, welchen Grad der Begabung das Kind gelgt. Rätsel des Gartens, in dem das Kind lebt: Der Dreijährige kniet vor einem Küchenstuhle und malt.(Das Kind sagt„schreibt“.) Wie der Zufall es will, fällt das Blatt vom Stuhl herunter, und das Kind beschäftigt sich ausschließlich mit seinem Bleistift. Ob der ihm Spielzeug genug ist? Aber wiß, es wird mit jedem Spielzeug fertig. Da es schon wieder mitteninne beim Spiel. Es kt den Bleistift in die Löcher des Stuhles. Die se paßt hinein, aber der ganze Bleistift geht hindurch. Aber einmal rutscht die„Schreibe“ durch und fällt durch ein Loch zur Erde. Das Kind lächelt vor Freude. Es nimmt den Bleistift auf und versucht sein Spiel von neuem. Aber nun will es ihm nicht mehr glücken. Es mag einen Ansatz zum Weinen nehmen oder wütend werden: der BleiKift will nicht. Das Kind hockt nieder. Und plötzlich pockt es den Bleistift und legt sich unter den Stuhl und versucht den Stift wieder von unten nach oben durchzustecken. Ob es gelingt, das weiß ich nicht. Das ist auch für das, was ich sagen will, ganz nebensächlich. Aber grundsätzlich ist dies: Hier weist das Kind nach, daß es denken kann. Wenn wir die schwerfälligen und krausen Gedankenreihen des Kindes in unsere Sprache übersetzen, dann sehen sie vielleicht so aus: Der Bleistift ist von oden nach unten durchgeglitten. Wenn ich das nicht wiederholen kann, weil ich den Vorgang nicht von Anfang an genau beobachtet habe, dann wird mir das gewiß umso eher gelingen, wenn ich den Weg des Bleistifts rückwärts verfolge. Seelenkundlich liegt hier folgendes ver. Alles, es das Kind bisher tat, war ihm etweder angeberen, oder es war angelernt worden. Es war entweder ein Instinkt= oder ein Dressurverhalten. Hier ist weder das eine noch das andere, hier ist eine Neuleistung. Und diese Neuleikung ist gekennzeichnet durch den bestimmenden Anteil des Verstandes, des Intellekts. Wir nennen daher ein derartiges Verhalten Intellekthandlung. In der Möglichkeit solcher Handlungen liegt ein Teil der geistigen Menschwerdung. Wann solche Intellekthandlungen beim Kinde einsetzen, bas zu entscheiden ist nicht leicht. Sicher ist, daß schon vom Ende des ersten Lebensjahres ab vereinzelt Intellekthandlungen auftreten, wohl zu allen Zeiten des Kindtums aber überwiegen Instinkt und Dressur. *** Eigenartig ist nun, wozu das Kind den Inlellekt gebraucht. Der Junge, etwa vier Jahre alt, schneidet sich ein Stück von seinen zu lang gewordenen Haaren nahe der Stirn ab. Er hat beobachtet, wie dem größeren Bruder das Haar gekürzt wurde. In Abwesenheit der Eltern hat er die Schere genommen und sich selbst geholfen, freilich mit eigenartigem Erfolg. Den beobachtet er nun im Spiegel und erschrickt. Die Eltern, die im Wohnzimmer sind, dürfen das nicht wissen? Was ist zu tun? Nun, etwas, wobei der Kopf verborgen werden kann. Also muß man Kopfschmerzen jaben. Dann kann man die kahl geschorene Steue mit der Hand bedecken. Gesagt, getan. Und der Kleine macht das so geschickt, daß beide Eltern darauf hereinfallen, den armen Kerl bedauern und nur durch einen Zufall hinter die Gaunerei kommen. Hier liegen Dressurhandlung(Haarschneiden) und Intellektverhalten(Vortäuschen der Kopfschmerzen) sehr eng zusammen. Und dies letztere wird benutzt, um eine Lüge aufzubauen. Ein Fall von tausend gleichgerichteten. Gerade die Lüge kommt in ähnlicher Weise meist zustande. Wir fragen: Wie ist das möglich? Nun, es liegt bestimmt ein Erziehungsfehler vor. Die Anlage zum Lügen wird nicht dem Kinde angeerbt oder ihm angeboren(wenigstens nicht als Regel), sondern sie wird ihm durch die Erziehung gegeben. Es ist daher das Verkehrteste, was man überhaupt beginnen kann, wenn man in diesem oder in einem ähnlichen Falle das Kind straen würde. Der Grundsatz von alters her: Für jede Kinderlüge körperliche Züchtigung ist wie so vieles, was von alters her Mode war, unrichtig. Das Kind benutzt nur den sich entwickelnden Verstand dazu, bessere, erfolgreichere Lügen zu ersinnen. Nicht der Fehler wird also bekämpft, sondern der Schutz vor Strafe erreicht größere Wirksamkeit. Ob der Himmel des Kinderreiches sich wölbt über grünen Wiesen und rauschenden Wäldern oder über den eingeengten Vierteln der großen Stadt: allüberall sind in der stillen Kammer, die Mutter und Kind in den ersten Jahren des Kindtums bewohnen, dieselben Kräfte lebendig, dieselben Regungen wirksam. Es ist eben eine Kinderseele, die sich entfaltet, und es erweist sich, daß diese Kinderseele die gleiche ist, ob sie nun im Schatten der Schlote oder im Reiche ländlichen Erdgeruchs größer wird und Raum gewinnt. Die Bilder, die ich nachzeichnete in den vorangegangenen Zeilen, sind zwar in engen Großstadtwohnungen entstanden, aber sie hätten ebenso gut auf dem flachsten Lande wirklich werden können oder in der Kleinstadt. Wo sie Leuchtkraft haben, verdanten sie das der Mutter, die hier wie dort dem Kinde die rechte Heimat sein kann. Der deutsche Uhrenmann. Von Otto Henschele. Die Zeit steht nicht sill, sie flieht ins Unendliche, aus dem sie kommt. Menschen kommen und Menschen gehen.. Kurz währt ihr Leben und wenn es lang währt, sinds achtzig oder neunzig Jahre. Die Menschen stehen in der Zeit und halten den flüchtigen Tag für den Sinn alles Seins. Freilich stehen immer wieder andere draußen im Zeitlosen. Des neuen Lebens Hast berührt sie kaum; denn das Tagwerk, dem sie dienen, ist zeitlos wie der Lauf der Sterne oder der Sonne Bahn. Geht nicht der Bauer über seinen Acker, pflügt er nicht die Schollen um, sät er nicht die Körner in die Furchen und wartet er nicht bis sie keinem und wachsen und reisen, daß er die Frucht schneide wie es die Ahnen taten vor Jahrzehnten; Jahrhunderten?— Und der, der liebt, hebt ihn die Liebe nicht heraus aus der Zeit in die Ewigkeit hinein? Und der, der wandert aus Not oder aus Leidenschaft, aus Hunger oder aus Lust... zählt der die Stunden? So müssen immer wieder Zeitlose sein in der Zeit, damit das Leben nicht sich selbst entfalle. Ein jolcher Zeuloser war auch der, von dem wir erzählen wollen. Eines Tages brach er auf, zog den blauen rotgefütterten Schoßrock mit den silbernen Knöpfen über die rote Weste, legte die Schnallenschuhe an. stülpte sich den schwarzen breitrandigen Schlapphut auf den Kopf, der schon grau wurde, nahm den großen Korb, die Krätze, mit Uhren gefüllt auf den Rücken, winkte abschiednehmend zu den sauberen Fenstern des Dorfes hinauf und zog in die Welt hinaus. Von Schramberg, von Furtwangen, von Triberg und wie die vielen Orte im alemannischen Schwarz= wald alle heißen, in denen fleißige und geschickte Hände die Uhren bauen, die unermüdlichen Weiser und Ordner der fliehenden Zeit, waren sie schon immer ausgezogen vor hundert und mehr Jahren. Viele waren es gewesen. Viele kehrten heim und hatten die Länder Europas gesehen. Der eine oder andere kam nicht wieder; ward verschollen oder verloren. Die Welt ist weit und viele Wege, auf denen ein Uhrenmann geht, sind düster Manches Herz bricht rascher in der Fremde und manches Uebel für das die Heimat ein Heilkraut hat, findet keine Heilung im fremden Land. Aber immer seltener ziehen die Uhrenmänner aus in der neuen Zeit; die zwar noch immer mit Uhren gemessen wird die aber andere Wege kennt, auf denen die Uhren zu ihr kommen. Vor Jahren also ist der letzte Uhrenmann in Triberg aufgebrochen. Er ist den Rhein hinab gezogen nach Holland. Ueberall hat er seine Uhren verkauft und überall haben ihn die Menschen fteundlich aufgenommen. Haben sie noch einen Sinn für das, was aus dem Zeitlosen zu ihnen kommt? Es scheint ihnen der Uhrenmann wie eine Gestalt aus dem Märchen und Legenden, die sie in ihrer Kindheit hörten. Wissen sie, daß Legenden und Märchen immer die Quellen sein werden des tieferen Lebens? Von Holland reiste der Uhrenmann nach England. Auch von dort sandte er gute Botschaft denen, die zu Hause waren. Immer fernere Ziele lockten ihn. Er bereiste Schweden, auch von da noch frohe Kunde sendend. Zwei Jahre war er so mit der Krätze auf dem Rücken in der Fremde gewandert, hatte viele fremde Lande und fremde Städte gesehen. Da aber blieb plötzlich die Nachricht aus. Erst Wochen, dann Monate. Die n der Heimat wurden unruhig... sie ängstigten sich. Jetzt gehen Briefe hin und her von Triberg nach Stockholm an den deutschen Konsul und von ihm wieder hinaus ins schwedische Land. Vergebens sucht man die Spur des letzten Uhrenmannes. Nur die Krätze mit den Uhren kommt eines Tages aufs deutsche Konsulat nach Stockholm. Erstaunt betrachten die Beamten den seltsamen Korb. Sie geben ihn in die Heimat weiter. Dort stellt man ihn im Uhrenmuseum auf. Dunkel bleibt das Schicksal des Uhrenmannes. In einem Dorfgasthaus weit oben im schwedischen Norden hat er den Korb abgestellt. Am späten Nachmittag war es gewesen. Er hatte am Wirtstisch noch gegessen und dann war er hinausgegangen ... und keiner hat ihn mehr gesehen. Man hat auf ihn gewartet, aber er ist nicht wieder gekommen Er ist gewandert und gewandert. Er hat Wege gesucht und Wege gefunden. Oft ist er einsam gewandert und hat auf mancher fremden Straße die Lieder seiner Heimat vor sich hingesummt. Die Uhren im Tragkorb auf seinem Rücken haben rasch ihre Räder gedreht und Ordnung gebracht in die vergehende Zeit. In ihren Gehäusen tönte die zarte Musik, ein Widerklang nur der großen Musik im Himmelsall, wo Sonnen und Sterne sich drehend und kreisend die Ordnung bestimmen im Tag der Menschen, der Völker, der Welten und im Gottes=Tag. Still standen alle Räder, als der Korb in die Heimat kam wie das Herz dessen, der sie getragen hatte, sill stand draußen irgendwo in der Fremde War er der Letzte? Werden nicht andere aufbrechen mit Uhren im Korbe mit Sehnsucht nach Ferne im Herzen? Vergebens werden sie die Spur dessen suchen, der nicht wiederkehrte, aber sie werden wie vor Zeiten die Ahnen, die Uhren tragen, deren Näder sich Crehen wie immer im gleichen Tekt um die immer gleichen Stunden messen. Aber ihre Stunde wird eine andere sein als die Stunde derer, die im rasenden Auto an ihnen vorüberbrausen. Aber sie werden auch wieder Bauern begegnen, die dem Gesetz der Ewigkeit dienen und die schnelle Stunde des neuen Menschen nicht kennen. — zzzung Sva sic S poc ui gun i Mu b pte c u zm Mp un Mh Wnng zm neh u u u ce neß Rapiialt S3 Mva Nun uhhg uis# K W hh Wis uaglol#i gun 13 sval(zg#buo 29 undet gut Pd unung sg u 1#i zim 1 Mcbicl usseck uab za zoh gun iim im zuc ug hhcg“ Nug ut id#nd 13 zoc“ M banhog un ni 10 ine nuc 168 712g gunz ung Vok ann zuung zug zpom Jeoe] 2“ gan usmvzs udme uus zzundn Mumnog f u iim W Sht“. :uung gun uuig us 13 zugict quznpz Mpg necteg nuß uepiig nopsinotih zim Joc stunde. Die Leute schienen alle auf den Feldern zu sein. Nur aus der Schmiede tönte klingender Hammerschlag. Beim Hirschwirt nahm Helene im schattigen Garten an einem Tisch Platz und bestellte sich ein Glas Milch. Auf der Brücke vor der Tür stand der Wirt und rauchte sein Pfeifchen. Er nickte grüßend zu Helene herüber, gab ihren Auftrag in die Küche zurück, machte eine Bemerkung über den schönen Tag und „iedher Seumn Naubrtiübhen uch die 9l. slängelnden Fäden davonschwammen und langim in Nichts zerrannen. Er kannte Helene nicht mehr, obwohl er damals dem armen Dirnlein oft einen Leckerbissen zugesteckt hatte. Da kam von der Straße her eine schlanke Mannsgestalt in der Tracht eines Bergjägers und trat zum Wirt auf die Brücke. Helene erkannte ihn sofort wieder. Es war derselbe, der ihr damals auf der Waldwiese helfend erschienen war. Mit Wohlgefallen musterte Helene die Tracht des Jagdgehilfen: Schwergenagelte Schuhe an den Füßen, dickwollene weiße Wadenstrümpfe, die kurze, gemslederne Hose, ein weißes Leinenhemd an der Brust, offen und nur von einer silbernen Brosche zusammengehalten, die graue Joppe mit den grünen Aufschlägen, den Bergsack auf dem Rücken, und auf dem Kopf ein verwitterter, grauer Filzhut mit nickenden Reihersedern. Alle Kleidungsstücke waren abgetragen, nur die Büchse hinter seinem Rücken war blank und die Stahlläuse funkelten in der Sonne. Wie er dastand, groß und schlank, umsponnen von den Sonnenstrahlen! Alles an diesem Menschen zeugte von Kraft und Gewandtheit. „Ein Frühlingsmensch", dachte Helene. Und ohne daß sie es wollte, verglich sie ihn mit Petri. Das war ein Unterschied wie Licht und Schatten. Das Gesicht des Jägers hatte feste, gewinnende Züge und war braungebrannt von der Sonne. Mit ruhigem Glänzen schauten die grauen Augen in die Welt. Bei aller strotzenden Kraft, die in dem Menschen streckte, waren seine Bewegungen von einer lebhaften Geschmeidigkeit. Alles an ihm redete mit, während er, dem Wirt erzählte, daß er vom Berg runter sei, um sich der neuen Herrin vorzustellen. „Ich glaub, sie is heut noch net komma, weil i“ an Harlacher allein heimfahren hab sehn", sagte der Wirt. „Ja, Herrschaft, wie lang bleibt denn die noch 6146)“ „No— jetzt ich mein du wirst es erwarten könna! Dir kanns ja gleich sein, ob d’ Frau da is oder net. Du bist doch kein eig'ner Herr da drob’n in deiner Jagdhütte!“ „Schon, aber man möcht doch gar wissen, wem man dient. Und dann hab ich auch noch gar kei' Schußerlaubnis für heuer. Schau ich halt morgen nochmal runter. Vielleicht kommt sie inzwischen d' Frau. Dann könnt ich allheil noch mein Dutzend Hahnen haben.“ „Oho!“ wehrte der Wirt.„Ich mein, da übertreibst a' bissl. „Gar net! Die Jagd is noch nie so sauber beieinander gewesen, wie heuer. Freilich, Arbeit hats 'macht, bis ich's Nevier sauber ghabt hab von den Lumpen. Nur ein einzigen hab ich noch auf der Muck!" Der Jäger überflog das gegenüberliegende Gehöft mit finsterem Blick und sprach weiter:„Es ist bloß schad, daß eine Frau Wildenreut erworben hat. Die wird net viel verstehn von der Jagd.“ „Geld solls viel hab'n, entgegnete der Wirt. „Soviel man hört, solls alles bar zahlt hab'.“ Im selben Augenblick gewahrte der Jäger Helene, die aufmerksam dem Gespräch der beiden folgte. Etwas verwundert schaute er auf die Fremde, tippte grüßend an den Hutrand und wandte sich wieder dem Wirt zu. „Sommergast schon?“ „Bei mir net! Muß von Tegernsee eine sein, da sind vorige Woche schon die ersten gekommen.“ „Dann dauerts bei uns auch nimmer lang.“ „Gar so schlimm wird's net werden heuer. Es gibt zu wenig Geld unter die Leut. Allweil hautiger werd die Zeit“, jammerte der Wirt mit bekümmerter Miene, die dem Jäger ein Lachen entlockte. Dieses Lachen klang wie das Schwingen einer Glocke. „Was brauch'n wir Geld, wenn wir'sund n „Recht hast schon, Rupp! Aber verachten brauchst es auch net. Wenn du amal eine erwischt mit recht viel Geld, wird's dir auch net zwider sein. Ich weiß gar net, was du für a Kerl bist! 's halbe Dorf is verschossen in dich, und der Loder schaut keine an.“ „Weißt, Wirt ich hab zu wenig Zeit für so was.“ „Geh, laß die auslacha! Aber i weiß schon. Die sokl'n halt zu dir komma, gelt?“ „Das ging mir grad noch ab! Mir is lieber, wenn ich die ganze Woch'n niemand seh.“ „No— jetzt sei amal ehrlich Rupp—“ der Wirt Kieß den andern verschmitzt lächelnd an den Ellenbogen—„wenn amal a jungs Madl naufkäm zu dir in’Hütt'n, der tätst gwiß net d' Tür vor der Nas'n zuaschlagn, ha?“ „Ein junges Mädl? Zu mir?“— Wieder das frohe klingende Lachen.—„Da könnt man ja schließlich ein Aug zudrück'n. Aber ich glaub, die für mich'stimmt is, die hat noch keine Knie.“ Lachend trat der Jäger wieder auf die Straße und pfiff seinem Hund, der mit seltsamen Sprüngen durch die blühende Wiese kam, wo er eine ergebnislose Jagd nach Scheermäusen gehalten hatte. Mit freudigem Gekläff sprang der braunhaarige Dackel an seinem Herrn hoch, bis dieser sich bückte und ihn streichelte:„Na, freilich! Du bist ja mein Guter, du!“ „Wie is Rupp?“ schrie der Wirt dem Davoneilenden nach.„Am Sonntag über acht Tag hab i Maitanz! Kommst auch ein bessl?" „Kann schon sein", rief der Jäger über die Achsel zurück. Dann verschwand die hohe Gestalt hinter der blühenden Weißdornhecke. Nur noch der klappende Schritt seiner Nagelschuhe war zu hören. Dann verstummte auch der, denn Rupp Hiller schlug einen Wiesenpfad ein, der sich gegen den Wald hinschlängelte. Ein Weilchen später nahm der Wirt Helene gegenüber Platz und fragte nachdem er seine Pfeife wieder in Brand gesetzt hatte: „Kommen Sie von Tegernsee?"“ Helene besann sich kurz, ob sie sich zu erkennen geben sollte. Aber dann nickte sie und sagte:„Ja, von Tegernsee.“ Sie bestellte sich Brot, Schinken und ein Gläschen Terlauer. Dann steuerte sie direkt auf ihr Ziel los. „Sagen Sie mir einmal, Herr Wirt: Wer war denn der Jäger, mit dem Sie vorhin sprachen?“ Der Wirt deutete mit der Pfeifenspitze nach Wildenreute.„Auf dös Gut gehört er.“ „Er muß aber nicht aus der Gegend stammen? Seine Sprache klang anders als zum Beispiel die „So, haben Sie dös schon'merkt?“ wunderte sich der Wirt und begann zu erzählen, was er von Ruppert Hiller wußte. Eigentlich war es nicht viel. Hiller war auch einer von den vielen, die zurückkamen aus dem großen Ringen und keine Existenz in der Heimat mehr fanden. Er entstammt einer guten Familie aus Wien und hatte einst eine gute Kinderstube genossen. Das Ende des Krieges zwang den damals blutjungen Menschen, sich um eine Existenz umzusehen. Geheimrat von Nebenstein, der Begaifn Muer unr Wr dr der 6 sein umfangreiche Jagd angestellt. Der Verkauf ite hierin auch nichts geandert. In der Verufsurkunde stand, daß das gesamte Gutspersonal einschließlich des Jagers, von der neuen Besitzerin mit zu übernehmen sei, soweit sich diese nicht entschließe, die Jagd an die Gemeinde zu verpachten. „In diesem Fall würde der junge Mann dann brotlos?“ erkundigte sich Helene. „Dös wird wohl so sein", erklärte der Wirt. „Wär schad um den Nupp. Er gibt sich soviel Müh, und die Jagd ist noch nie so schön da'standen wie jetzt.“ „Da wäre es also großer Undank, wenn die neue Besitzerin die Jagd verpachten würde?“ „Ja wirklich! Was kann man von einer Frau verlangen, die nichts versteht von der Jagd? Der Ramscheder sinnt schon lang darauf, bis d' Frau amal kommt. Ich wünsch mir bloß, daß sie a bissl entschlossen is, die sich von dem Halsabschneider net über d' Ohren haun laßt.“ „Wenn es aber eine ist, die von Land= und Forstwirtschaft nichts versteht?“ „Auweh nacha is'fehlt. Ret bloß umd Jagd, sondern ums ganze Guat.“ „Wieso? Ist denn nicht ein tüchtiger Verwalter in Wildenreute?" „Tüchtig?“ Der Wirt lachte gallig auf.„Der Bergmann is bloß tüchtig, wo's in seine Tasch'n geht. Der hat den Rebenstein schon übers Ohr 'haut und jetzt wird ers net viel anders machen. Und gar, wenn einer den Ramscheder zum Freund hat, da weiß man scho, wieviel's'schlag'n hat. Die halten auf Wildenreut, die müssen tanzen wie der Herr Verwalter pfeift. Bloß der Nupp net. Vor dem hat er ein bissl Achtung, weil ihm der allweil a bissl auf d’ Finger schaut. Der Wirt, der soeben wieder seine erloschene Pfeise in Brand setzte, konnte nicht sehn, wie seiner Zuhörerin bei dem Namen Bergmann das Blut in die Wangen gefahren war. Er tat ein paar hastige Züge und sprach weiter: „Ich wünsch mir bloß, daß die Frau amal zu mir käm, daß ich ihr reinen Wein einschenken könnt.“ Helenes Lippen umspielte ein Lächeln. Dann fragte sie nach der Schuldigkeit, bezahlte und reichte dann dem Wirt die Hand. „Ich danke Ihnen, mein lieber Herr Hammerer. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie mich geleit I3, Fiumal besuchen würden in WildenrentUsten uns übrigens schon kennen?“ Dem Wirt ging ein Licht auf. Er wurde verlegen und trippelte von einem Fuß auf den andern. „Sie werden doch net..?“ „Doch, doch!“ ergänzte Helene erheitert.„Ich bin Helene Stay, die neue Besitzerin von Wildenreute. Ich bin Ihnen, wie gesagt, sehr dankbar, daß Sie mich ein wenig aufgeklärt haben.— Auf Wiedersehen!“ Verblüfft schaute Bartholomäus Hammerer der Davonschreitenden nach und machte sich seine Gedanken dabei. „So hab ichs mir net vorg'stellt“, sprach er für sich hin.„Die scheint mir für den Bergmann net 'wachsen, wo ihm der Nebenstein net amal auf seine Schlich komma is. Und der ander Bazi erst! O, mein Gott! Wia werd der dem Frauerl recht schön unters Gsicht toa und ihr dabei ein Stückl zald ums andere und Wies'n um Wies'n um a Spottgeld abdrucka. Was versteht denn so a zart's Weiberl von der Bauernschaft. Bartl, Bart!! Du muaßt scho da scho d' Aug'n a bissl off'n hab'.“ Kopfschüttelnd trug Hammerer das Geschirr in die Küche, um seiner Frau gleich die Neuigkeit zu übermitteln. „Stay?“ fragte die.„Du— es wird doch net 's Lenerl'wesen sein, die amal beim Ramscheder war?“ „Ah geh! Wo denkst denn du hin, Alte. Meinst ich hät's Lenerl nimmer kennt?“ Helene ging unterdessen langsam durch das Dorf und mußte denken: „Also, dieser Bergmann ist immer noch auf dem Gut. Jetzt kann ich ihm alle Gemeinheiten heimzahlen, die er mir damals angetan hat.“ An jene Zeit zurückdenkend, schritt Heleue weiter, erwiderte freundlich den Gruß eines schwarz= begrigen Mädels, das mit einem Rechen über der chutter die Straße daherkam. Helene sah ihr nach. „Wer war das Mädl?“ Helene meinte sie zu kennen... Jetzt stand auch die Schwarzhaarige still und sah sich um— nur ein wenig, mit halbem Gesicht, mit einem flüchtigen Blick nur, dann ging sie hastig weiter, verschwand hinter einer Heche und ging dann auf den Ramschederhof zu, In Helene dämmerte die Erinnerung auf. „Ach, die Klara ist es“, sagte sie verwundert. „Guck— wie das Mädel gewachsen ist! Wieviel Schläge hab ich deinetwegen aushalten müssen. Aber dir trag ich nichts nach! Du warst ja damals noch ein Kind.“ Im Wirtshaus zur Linde sah Helene, als sie vorüberging, zwei Männer in ein Gespräch vertieft. Helene erkannte sie sofort. Es waren der Ramscheder und Bergmann. Die beiden bemerkten sie vorerst gar nicht. Erst als Helene schon vorüber war, sah Ramscheder auf und stieß den anderen an. „Du, da schau hin. Mir scheint, die geht auf Wildreut zua. Bergmann fuhr herum. „Sag's zweimal, obs net sie selber ist! Teufi! Die kann ja einen netten Begriff von ihrem Verwalter krieg'n, wenn s’ mich am hellichten Werktag im Wirtshaus sitzen sieht.“ „Schneid ihr den Weg ab", riet Ramscheder. „Wenn d' deine Hax'n a wenig füreinand tust, bist vor ihr noch drüb'.“ „Hast recht, Ramscheder. Es macht gleich an guat'n Eindruck, wenn sie mich bei der Arbeit stieht.“ Mit flinken Sprüngen surrte Bergmann auf einem Umweg dem Gutshof zu. 4. Kapitel. Sinnend stand Helene eine Viertelstunde später vor dem schmucken Haus, das sich mit seinem hald bäuerlichen, halb herrschaftlichen Stil gar wunderhübsch ausnahm, inmitten des blühenden Gartens, der es an allen vier Seiten umschleß. Das Erdgeschoß war gemauert und weiß übertüncht. Die kleinen Fenster, mit den neuzeitlich gewölbten Scheiben, verschwanden fost hinter den grünen Blumengittern mit den blühenden Stöcken. Das obere Stockwert war aus Holz und dunkel gestrichen. Nur die Laube, die sich an drei Seiten des Hauses entlang zog, war grün gehalten. Auch oben verdeckten die blühenden Hortenstenstöcke die dahinterliegenden Fenster. Nur die grünen Läden, mit den ausgeschnitzten Herzen schimmerten ein wenig durch. Ueberaus weit sprang das Dach, mit dem kunstvoll geschnitzten Gibelbalken hervor und überschattete fast die ganze Srät. Die Haustüre stand offen und man vernahm aus dem Innern zwei erregte Stimmen. Helene konnte den Wortlaut nicht recht recht verstehn. Schon wollte sie eintreten, da trat Bergmann aus dem Haus. In Sekundenschnelle verzog sich sein Gesicht in ein zuckersüßer, freundliches Lächeln. And mit tadelloser Verbeugung stellte er sich vor Verwalter Bergmann!“ (Fortsetzung folgt.) u ung lud InL mauso nda ayzzachtat gun un#g nd iginn im u ig uis duid un uuc #c 94 130 100 uu in uas 1 uniii ne mpzlnou javzg sbunl v zomd nuda“— usbog —.— Pi u e ug snd ling u ne M u et n icc igunt Gast mit mißtrauischen Blicken. Mit beidon Backen kauend, erwiderte er den Gruß und fragte dann: „Was verschafft mir denn die Ehr?“ Kollmann nannte erst seinen Namen und Beruf. „So, sooo!“ machte der Bauer und zog den Mund breit. „Ich käm wegen der kleinen Helene!" Ein wunderliches Staunen in den Augen und lauernden Spott in der Stimme, fragte RamPeader: „Was willst von der?“ Ruhig trat Kollmann auf den Bauer zu und sagte: „Ihr wißt doch, woher das Kind stammt und ich denk, daß es Euch weiter nicht weh tun wird, wenn ich go mit mir nehme.“ „Mein? Du— da könnst dich aber grad Auscher“ „Ein Theaterkind gibt nie eine Bauernmagd!“ „Sell wird sich ja rausstell'n im Lauf der Zeit. Bis jetzt is ste mir noch net viel von Nutzen #wesen.“ „Dann gebt sie mir, ich kann sie notwendig brauchen!" Der Bauer blies den verhaltenen Atem durch die Zähne und sagte nach einer Pause:„Dös Madl bleibt bei mir!" „Wenn sie aber fort will?“ „Kann s' ja vor mir aus— aber erst wenn sie mündig ist! Oder glaubst leicht, ich bin dumm und ziehs erst aus dem Dreck und wann s' so weit wär, daß mans zur Arbeit a bissl hernehma könnt, dann gib ichs weg! Freilich, sonst nix wehr“ Kollmann griff nach seinem Hut.„Ihr seid aber noch nicht der letzte, an den ich mich wenden kann. Soll das Vormundschaftsgericht entscheiden. In einer Woche sag ich Euch, was ich ausgerichtet habe.“ „Sei net aufdringlich. Du redest da wie ein Blinder von der Farb. Ich sag dir, die Sach is für heut und für allemal abgetan und ich will nix mehr davon hörn. Und wenn du mir wegen dem nochmal ang'rückt kämst, so müßt ich dir die Tür weisen.“ „Hat es nicht notwendig Bauer. Ich komm Euch nimmer ins Haus.“ Ohne Gruß verließ Kollmann den Ramsched und begab sich ins Pfarrhaus. Der Bauer aber ging hinaus in den Schuppen, we Helene mit einer Arbeit beschäftigt war. „Was muß ich denn von dir hörn? Fort willst? Dös könnt dir grad schön passen. Aber da werd nir draus. Du bleibst da und arbeitest erst amal dös ab, was!' die ganzen Jahr an dich gefuttert hab.“ „Ich taug aber doch nichts zur Bauernarbeit!“ „Dös werd ich dir dann schon zeig'n. Es is ja grad, weil ich bisher so nachsichtig war. Aber von heut an pseift a anderer Wind. Wenn du bis Mittag net fertig bist mit dera Arbeit da, dann mach ich dir amal Füß.“ Er wandte sich zum Gehen, blieb aber unter dem Tor nochmal stehn. „Was ich noch sag'n will: Tu' dich ja net unverstehn und geh mir zu dem Komödiantengefindel güber. Wann ich was erfahr, schlag ich dich windelweich!" Da erwachte in dem Kind der heiße Trotz. Die zarten Fänkte schüttelnd, trat sie vor den Bauern 1118. „Auch das willst du mir verbieten? Aber ich laß es mir nimmer gefallen! Du hast kein Recht dazu, wie es dir auch nicht zusteht, mich wie eine Gefangene zu behandeln!“ Mit blitzenden Augen stand sie vor dem Bauern, der die Unterlippe vorschob, als zermalme er eine Nuß. Dann flog ein brutales Lachen über sein Gesicht und Helenes beide Zöpfe fassend, schüttelte er sie unbarmherzig. „Wie redst denn du mit mir? Wart, k' werd dirs beibringen, wia ma mit dem Ramscheder zu zeden hat!“ Sie festhaltend. griff er nach einem in der Nähe liegenden Haselnußstock und schlug damit auf das Mädchen ein. Dann schleuderte er es zurück. schlug das Tor zu und schob den Balken ver. Drüben am Pfarrhof standen Kollmann und der Pfarrer und beobachteten die ganze Szene. Der Pfarrer ließ sich schließlich nicht mehr halten und eilte hinüber in den Ramsched. Srad wollte der Bauer sein Haus betreten, da Band der Pfarrer vor ihm und sagte warnend: „Mein lieber Namscheder, das geht doch ein wenig laun6 Ar Muntat dr. b. Bleih gunz uut blagen!“ „Wärs vielleicht schad um den Fratzen“. kreischte der Bauer auf. Der Pfarrer hob warnend den Finger.„Ich möcht Euch erinnern, Ramscheder, daß die Helene Euch in Schutz und Pflege gegeben worden in. Wie Ihr sie aber soeben gezüchtigt habt. das geht weit über Eure Befugnisse hinaus. Ich mach Euch darauf aufmerksam, daß, wenn sich derartiges wiederholen sollte, andere Maßregeln ergriffen werden müßten.“ Die Daumen in die Westentaschen eingehakt, die Augen zu einem kleinen Spalt zusammengeknissen, sah der Bauer dem Sprecher ins Gesicht. Dann deutete er zu den Wohnwagen hinüber. „Hat er Euch schon aufgehetzt, der Komödiant?“ „Jawohl, der Herr war bei mir und hat wegen Helene vorgesprochen. Er will sich jetzt an das Vormundschaftsgericht wenden. Und wenn er angibt, was er und ich soeben gesehen haben, kann das Urteil leicht zu seinen Gunsten gesprochen werden“ Höhnisch lachte Ramscheder auf.„So, das ist ja sauber! Oder meint vielleicht der Herr Pfarrer, ich merk's net, daß er der Sippschaft die Stange hält? Respekt!“ „Ich möchte mir diese Beleidigung verbitten, Ramschedbauer!“ „Hab ich vielleicht nicht recht? Meint Ihr, ich seh nicht, wo Ihr naus wollt? Aber grad extra mag i' net!“ Der Bauer wandte sich ab und trat ins Haus. Der Pfarrer aber betrat den Schuppen und fand dort Helene ohnmächtig am Boden liegend. Der ganze Körper wies blutige Striemen und Male auf. Ohne zu besinnen, ließ er sie ins Pfarrhaus nüberbringen und schickte nach dem Arzg Diesem Vorfall hatte es Ramscheder zu verdanken, daß er laut Urteil des Vormundschaftsgerichts Helene frei geben mußte. Drei Wochen später, an einem nebeligen Novembertag, zog Helene mit der Wandertruppe fort in die Fremde. Der Abschied war leicht geworden. Sie ließ ja niemand zurück, den sie liebte. Nur von der Mutter Grab konnte sie sich lange nicht trennen. Da gab es so viel, was sie der teuren Toten noch zu sagen hatte. Zum letztenmal umklammerten ihre Arme das kleine, schmucklose Holzkreuz. „Leb wohl', Mütterlein! Gott gebe es, daß ich ehrlich bleibe und brav.“ Am andern Morgen ging es fort— mit hoffendem Herzen. 3. Kapitel. Zwölf Jahre später. Ein Morgen, sonnig und lüfteklar, wie ihn nur das Hochland kennt, lag über den blütedurchtränkten Wäldern und Fluren. Die Berge waren noch von ganz seinen Frühnebeln umwoben. Jetzt zerrissen sie und die südlich blickenden Verghänge wurden von der leuchtenden Morgensonne übergossen, während die jenseitigen noch in blauen Frühschatten lagen. Wie scharf und kantig die noch teilweise vom Schnee bedeckten Zinnen in das wolkenlose Blau des Himmels stießen. Und welche Stille in diesem blühenden Frühlingsmorgen lag. Nichts war zu hören als das leichte Rollen eines Wagens. der von zwei feurigen Apfelschimmeln in rascher Fahrt durch das stille Tal von Tegernsee nach Kreut gezogen wurde. Das lederne Schutzdach der Kutsche war zurückgeschlagen, so daß die steigende Sonne die Frauengestalt umschimmerte, die lässig im Wagen ruhte. Die feinen, schmalen Hände im Schoß verschlungen, den Kopf an die Polster gelehnt, saß Helene Stay ganz still und regungslos. Die Augen hielt sie geschlossen ohne zu schlummern. Nur müd war sie— müd vom Leben. Diese Siebenundzwanzigjährige mußte eine schwere Krankheit hinter sich haben. Kein Tropfen Blut schien in dem bleichen Gesicht zu pulsieren. Weiß und kalt war es— wie Marmor. Um die Mundwinkel war ein Zug eingegraben, der von Leiden zeugte, die vergessen sein wollten und es doch nicht waren. Nur die Brust atmete tief und trank in gierigen Zügen den harzigen Geruch des Waldes ein. Jetzt öffnete Helene die Augen— zwei große dunkle Augen, die einen seltsamen Gegensatz zu dem goldblonden Haar bildeten. Eine zehrende Schwermut redete in diesem Blick, mit dem sie zurücksah auf den glitzernden See. Helene faßte den Sonnenschirm und berührte die Schulter des Kutschers. „Halten Sie einen Augenblick, ich möchte von hier den Weg nach Wildenreute zu Fuß gehn.“ Der Fuhrmann machte verwunderte Augen, sprang aber flink vom Bock, um der Herrin den Schlag zu öffnen. „Ich danke Ihnen... wie ist Ihr Name?“ „Sepp Harlacher!“ Der biedere Alte machte dabei eine drollige Verbeugung. „Also, ich danke Ihnen, lieber Harlacher“, wiederholte Helene mit seinem Lachen.„And nun sagen Sie mir: Wie weit ist es noch nach Wildreute?“ „Ja mein—“ der Sepp schnaufte und maß die zierliche Gestalt der neuen Herrin mit zweiselnden Blicken, als würde er ihr einen Fußmarsch von Dreiviertelstunden gar nicht zutrauen.— „Wenns dem Fußwea mit der blauen Markierung nachgehen. könnten Sie in einer schwachen Stund dort sein.“ „Ist gut, Harlacher! Die beiden Koffer sollen einstweilen ins Wohnhaus geschafft werden." Helene sah dem Gefährt nach, bis es um eine Wegbiegung verschwand und wanderte dann langsam durch den stillen Tann. Wie ein leuchtendes Wunder war es zwischen allen Schatten des Waldes, denn die Sonne brach schon mit breiten Strahlen durch alle Lücken der Gezweiges. Mit jedem Schritt, den Helene vorwärts tat, glaubte sie ein Schweres hinter sich zu lassen. Weit und fern wollte sie alles wissen, was so dunkel und marternd in ihr Leben getreten war. Sie mochte so ungefähr eine halbe Stunde gegangen sein, da lichtete sich der Wald und man sah schräg gegenüber das Wildenreute liegen. Ein weitausgedehnter Kreis von Gebäuden. In der Mitte eine mit frischem Nieselsand überworfene Fläche, und hundert Meter abseits, zwischen blühenden Bäumen, ein neugebautes Wohnhaus. Weiter ab lag das Dorf, ganz versteckt in einem weißen Blütenmeer. Nur der vergoldete Knauf des Kirchturms reckte sich heraus und funkelte in der Sonne. Ein frohes Leuchten kam in die dunklen Augen Helene Stays. Alles war noch wie früher; die blauen Berge, der dunkle Bergwald und die blühenden Wiesen, wo sie einst die Kühe des Ramscheders gehütet hatte. Wie oft hatte sie damals in stillen Nächten davon geträumt, einmal so reich zu sein wie der Wildreuter. Nun war es so weit! Seit einem halben Jahr war Helene Besitzerin des Gutes mit allem, was dazu gehörte. Ob man sie im Dorf noch kannte? Damals, als sie fortzog, mit der kleinen Theatergesellschaft, war sie ja kaum dem Kindesalter entwachsen. Heute war sie eine stille, ernste Frau. Hart ist sie vom Leben in die Schule genommen worden. Aber es hat sich gelohnt. Nach harter, mühseliger Arbeit war es ihr gelungen, sich einen Platz an der Sonne zu sichern. Bühne und Film führten Helene empor, die den Bühnennamen Marga Rogger angenommen hatte. Tausende und Abertausende hatte sie mit ihrem Lächeln entzückt. Tausende haten ihr zugejubelt. Und nun war alles vorbei!— Zerflattert! Andere Sterne tauchen auf am Himmel der Kunst. Nach Jahren kannte man vielleicht kaum mehr ihren Namen. Die Welt vergißt ja so schnell. Nun stand sie vor einem neuen Abschnitt ihres Lebens. Alles was hinter ihr lag, sollte vergessen und begraben sein. Auch ihre Liebe zu dem Geigenkünstler Alex Petri. Mochte er sein Leben weiterleben, so leichtsinnig, wie es seine Art war, für sie war er tot und ausgelöscht. Aus dem Schatten des Waldes hinaustretend in die leuchtende Sonne, ging Helene auf eine Bank zu. Den Blick auf ihre neue Heimat gerichtet, saß sie ganz still, fast ohne Gedanken. Nur ruhen— nichts anderes wollte sie als ruhen und sich ausheilen von allem, was sie draußen in der Welt erlitten. So recht die Ruhe der im Blütenrausch duftenden Erde in ihre wunde Seele trinken; sich in der linden Frühlingssonne strecken und die blauen Berge schauen. Doch wie sie so still saß, wurde doch die Vergangenheit wieder wach. Erst nur undeutlich und verwischt, dann klar und fest zog Bild um Bild an ihr vorüber. Wie aus einer tiefen Versunkenheit stiegen sie auf. Eine ernste Furche grub sich in Helenes Stirne. Alles Dunkle, das sie draußen in fernen Welten erlitten und überstanden, zog vorüber. Die ersten Jahre des Wanderlebens, der Zusammenbruch der Firma Kollmann. Jahre der Not und Entbehrung folgten. Ein Dornenweg war es, bis es ihr durch einen glücklichen Zufall gelang, das Gretchen im Feschätiate ne duren Schon am andern Tag uftigur sich die Kritik ausnamslos mit der großen Menschengestalterin Helene Stay. Dann ging es sprunghaft von Erfolg zu Erfolg. Bald ging sie von der Bühne zum Film über. In diese Zeit fiel auch ihre Liebe zu Schön— einzig herrlich war jene Zeit des jungen Glückes. Auch Petri klomm die Leiter zum Ruhm empor. Seine Konzerte waren stets überfüllt. Die beiden verlobten sich und wollten heiraten. Da kam das Bitterste: Petris Treubrüche. Als Künstler von den Menschen verwöhnt, empfand er das Leben neben Helene alsbald als eine Fessel. Ihr das zu gestehen, dazu war er zu feig. Bis Helene ihn einmal bei einem Schäferstündchen überraschte. Ein kurzer, heftiger Wortwechsel, bei dem sich Petri hinreißen ließ, Helene zu schlagen, brach alles entzwei. Still und klanglos gingen sie auseinander... So stieg ein Bild um das andere vor ihr auf — doch alles mit milderen Schatten, alles in die linde Sonne dieses Morgens getaucht, der das vergangene Dunkel so lind und blau machte wie die Berge. Helene fühlte es; hier würde sie wieder gesunden. Und als sie langsamen Schrittes in das Dorf hinunterstieg, begann etwas Starkes in ihr zu erwachen. Beim Friedhof, der etwas außerhalb des Dorfer lag, machte sie Halt und trat an das Grab der Mutter. Ein schöner Marmorstein war jetzt statt des Holzkreuzes dort. Der Herr Pfarrer hatte dies auf Helenes Veranlassung besorgt. Nach kurzer Rast wanderte sie weiter durch das Dorf. Ganz still war es hier um diese Vormittagsu d 100 13 gg m gahn uannan tic ang 2aa ui tuagatzsgnig mi 11af auis 101ß sn u n Mhig he en t u a icun mi ute zgis 2n Letzte Rosen. Der etwa fünfundzwanzigjährige Musiklehrer Karl Storm ging langsam die grüne Ulmenstraße der kleinen Gartenstadt Varel, der ehemaligen Residenz der Oldenburger und Bentincks, hinab, dem roten Backsteinbahnhof der Großherzoglich Oldenburgischen Eisenbahn zu. Es war noch früh, und die Drosseln, die schon gegen drei Uhr angefangen hatten zu singen, strömten immer noch ihre schweren Strophen durch die üppigen Gärten, wenn auch Johann Hinrichsen, der grämliche Junggeselle und pensionierte Zollaufseher an der Ecke der Mühlenstraße, argwöhnisch in seine beiden Glaskirschenbäume lugte, deren Früchte kräftig zu reifen begannen. Ueber den sauberen, weißgestrichenen Staketen hingen dicke Flieoertrauben. und der Goldregen schob sich schimmernd in die köstliche Palette von Grün, Weiß und Violett. Vom Hafen her tutete ein Dampfer, ein Handwagen mit frisch in der nahen Jade gefangenen Krabben fuhr vorüber, einige Arbeiter schritten gemächlich dem kleinen Eisenwerk zu, dem Herr Preller, in dessen Hause er herzlich=freundliche Aufnahme gefunden, vorstand. Ein Lächeln lief über sein ernstes, gutes Gesicht. Es war auch zu drollig gewesen, wie er seine Familie kennen gelernt hatte. Kommt da eines Nachmittags eine sehr bewegliche, noch immer schöne Dame zu ihm und erzählt, daß sein Vater sie einst in Hamburg als zehnjähriges Kind oftmals auf den Armen getragen und ihr Märchen erzählt oder Gedichte vorgelesen habe. Eines Abends, als er mit einem Freunde aus Altona bei ihnen gewesen sei, habe sie mit ihren Geschwistern früher als sonst zu Bett gehen müssen. Plötzlich aber seien sie aufgestanden, hätten die Türen aufgerissen und sich mit einem„Gode Nacht, si Mulapen!“ nochmals von der verdutzten und dann lautlachenden Gesellschaft verabschiedet. Sie hatte ihn eingeladen, sie zu besuchen, und ihr Mann, der Neffe des alten Odysseemalers, hatte ihn besonders ins Herz geschlossen und ihn oft mit in sein Atelier genommen, in dem er nebenher landschaftete, ihm auch seine Tochter Agnes, als Klavierschülerin zugeführt. Er hatte das damals sofort an Vater geschrieben, und der hatte gleich Grüße bestellt und so die alte Bekanntschaft wieder angeknüpft. Der Stationsvorsteher griff militärisch an seine rote Dienstmütze. Dann fuhr der Zug von Oldenburg ein. Er fand den Vater bald aus der spärlichen Zahl der Reisenden heraus. Es war ein eigentümlicher Anblick, wie sich beide in den Armen hielten, der kleine, beinahe zierliche, weißbärtige Dichter mit dem ausgearbeiteten Gesicht und der große, breitale ie ae. uchenz ene Aue feine, verinnerlichte Züge sofort die verwandtschaftliche Jugehörigkeit erkennen ließen,„Glücklich glitten des Aelteren Augen an seinem Losche, dem Stillen Musikanten, herauf, und er vergaß fast, ihm das umfangreiche Paket zu geben, das Tante Do, Storms zweite Frau, trotz ihres häufigen Kopfleidens für ihn eingepackt hatte. Dann gingen sie, häufig respektvoll gegrüßt, dem Gasthof zu, in dem Karl für den Vater ein Zimmer bestellt hatte, und Theodor Storm las nicht ohne Befriedigung an der kleinen Anschlagtafel des„Gemeinnützigen", daß„der bekannte Dichter Theodor Storm aus Husum, der Vater unseres trotz seiner Jugend schon allgemein geachteten Mitbürgers, des Klavier= und Gesanglehrers Herrn Karl Storm, in diesen Tagen unsere Stadt mit seinem Besuche zu beehren gedächte“. Und ebenso zuvorkommend geleitete sie der Wirt nach oben ins Zimmer, über dessen Tür sogar eine bunte, aus jungem Buchenlaub und zierlichen Maililien freilich mehr derb als anmutig gewundene Girlande mit einem„Herzlich willkommen!“ winkte. Vater und Sohn saßen sich gegenüber. „Willst Du nach der langen Fahrt von Hamburg nicht lieber erst eine Stunde ruhen?" fragte Karl sorglich, behutsam das Fenster, durch das vom Walde her frisch der Morgenwind wehte, schließend. „Wo ich Dich wieder habe, mein lieber Junge?“ antwortete er, ihn innig mit seinen tiefen blauen, ein wenig verschleierten Augen umfassend.„Dafür ist zu Hause noch Zeit— oder auch nicht. Du verstehst schon!“ „Hast Du Nachricht von Haus?“ Karls Stimme zitterte im Gedanken an den unglücklichen ältesten Bruder, dessen Leben immer steiler einem trüben, selbstverschuldeten Ende zutrieb. Er nickte.„Frag nicht weiter! Es ist keine Sorge mehr; es ist ein Entsetzen, das mir das Blut vergiftet. Ich bin dem Anglück gegenüber völlig machtlos.“ Karl Storm schwieg.„Und Mutter?“ Er hatte auch der Stiefmutter gegenüber nie das kalte Tante Do gebrauchen mögen, wie es der Vater, als sie noch kleiner waren, gewünscht hatte. Eine Geschichte vom Amndnig Bäte. „Es geht ihr besser. Sie hat auch alle Kräfte nötig, denn ich fürchte— und auch Onkel Aemil gibt wenig Hoffnung— daß es mit Großmutter langsam zu Ende geht. Aber“— er sah, wie die Tränen langsam in den Augen seines Jungen aufstiegen—„das alles soll uns den Mut nicht rauden! Vor einigen Wochen schrieb ich Hevse, der immer noch nicht über den Tod seines Wilfried hinwegkommen kann: Der alte dumme Vers: Wenn die Hoffnung nicht wär, so lebt ich nicht mehr, ist unglaublich richtig. Andre verlieren ihre Kinder durch den Tod, ich durch das Leben. Leid ist überall.“ setzte er, dumpf in den alten Schmerz zurückfallend, hinzu.„Aber man darf nicht in Erinnerungen schwelgen, wenn man im Leben noch etwas leisten will, und, glaube ich es ist das Gebot unseres Landes und unserer Familie, nicht zu zerbrechen. Vorwärts! Was machen Deine Stunden?“ Glücklich begann Karl, von mancherlei Erfolgen zu erzählen. Seit kurzem leitete er auch den Gesangverein, und so hoffte er, in einigen Jahren die Schulden auf das Klavier, das ihm der Vater vor kurzem gekauft, abtragen zu können. Sie waren so ins Erzählen gekommen, daß sie das Klopfen der Wirtstochter, die das Frühstuck brachte, gänzlich überhört hatten. Auch nachher, als sie dem Walde zuschritten, bekamen sie manchen erstaunten Blick der Leute, daß der sonst so höfliche, aufmerksame Musiklehrer ihre Grüße nicht erwiderte, bis der Vater, der gewissenhaft seinen breitkrempigen Strohhut gezogen hatte, leicht auf seine Unaufmerksamkeit deutete. Am Mittag waren sie bei der Familie Preller gebeten. Das schöne, vornehme Haus im englischen Villenstil stand weit auf. Auf dem Flur mit den Büsten der Klassiker hieß sie der Direktor willkommen und führte sie in den geräumigen Gartensaal, in den das lichte, frühsommerliche Grün der Bäume, das tiefe Not der Geranienbeete mit dem betäubenden Duft des Flieders und der zahllosen hochstämmigen Rosen hineintrieb. Schwer fielen die blauen Glyzinen vom Dach herunter, und eine Ranke war sogar durch das Fenster gekommen, wo sie jemand anmutig um die Kopien der Weimarer Fresken des Onkels gelegt hatte. „Meine Tochter,“ sagte Herr Preller fröhlich, Karl leicht zunickend, und stellte ein ungefähr siebzehnjähriges bildschönes Mädchen vor, das zaghaft die Treppe vom Garten heraufschritt. Bald darauf kam die Mutter. Ein fernes Erinnern stieg ungewiß aus dem schleiernden Dunst langvergangener Tage in dem Dichter auf, ohne daß es volle Mittagsklarheit gewinnen wollte. Sie bemerkte er wohl, und der einstmals gemeinsame Besitz schien. aus dem Dämmer plötzlich in den Tag gezerrt, eher zu trennen als zu vereinen, bis die heitere Launo des Direktors und die warme, sonnensüße Stimmung der Stunde sie immer mehr verbanden, und der eine stumm in des andern Antlitz die Jugend wiederzusuchen begann, Auguste Preller mit beisem Lächeln, Storm im wehen Schwingen des alten Schwalbenreims von dem, was mein einst war. Sie gingen nach dem Essen durch den Carten. Die hohen Birken lehnten unbeweglich im Mittagslicht, Sonnenregen rieselte sacht, ein dünner Wasserstrahl fiel schläfrig in das breite Brunnenbecken, und von der Hecke her schwamm schwül und mit leichtem Heimatanklang der Ruch der Waldrebe. Sie besuchten den wundervollen Friedhof, schritten durch die schaumkrautblühenden, abendlich eindämmernden Wiesen dem Hafen zu, über dem von Wilhelmshaven her die Möven kreischten, und nachher spielte Karl Mozart. Er war kein Künstler, aber aus seinem Spiele quoll rein die schlichte Seele des kindlich=frommen, guten Menschen, der alles liebevoll und schenkensfreudig an sein Herz Immer stiller wurde es in Storm, und die Bitterkeit, die manchmal noch mit ernstem Vorwurf, diesem Kinde ein allzu strenger, ungeduldiger Vater gewesen zu sein, quälte, starb sacht und ohne Schmerz. Er hatte sie im Stillen Musikanten zu erlösen gewußt, und auch das Leid um den geliebten Aeltesten war ruhiger und ohne Zorn geworden. seitdem es ebenfalls und mit erschütterndem Klang in seine Kunst aufgegangen war. Ein tröstliches Goethewort kam wie ein Licht von weitem zu ihm her: Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide. Auch das würde einmal vergessen sein, wenn es auch immer wieder, doch mit sinkender Flamme. brennen würde. Fast tat ihm das Wort leid, das er vorhin in rasch aufwallendem, heißen Zorn über Hans gesagt hatte. Ist nicht alles Leben im Grunde Leid und überschauert von dunkeln, schwer schattenden Flügeln? In alle Fröhlichkeit rinnt das dumpfe Brausen der Zypressen, und jeder, der sich Mensch nennen darf. steht halbsatt vom Tische des Lebens auf. Denn zutiefst in der Seele schläft, trügerisch von glitzernden Wellen überkräuselt oder von schweren Sturzseen durchpflügt, tief wie Vineta das dunkle Gespenst des Endes, an das kein Anfang wieder anknüpft. Es war schon spät, als ihn Karl in seinen Gasthof zurückbrachte. Auf dem Tische stand mit einem scheu verehrungsvollen Gruß der jungen Agnes Preller ein Strauß weißer Rosen. Tief in Sinnen schrieb er auf eine Karte, die er schon am Morgen nach Husum hatte schicken wollen: Die Tage sind gezählt, vorüber bald ist alles, was das Leben einst versüßt. Was will ich mehr, als daß vorm Schlafengehn die Jugend mich mit frischen Rosen grüßt! Seltsamer Spaziergang. In den schweren, traumlosen Schlaf des Vaters bricht die Stimme seines Kindes ein. Ihr Locken und Schmeicheln bewirkt eine Entspannung des müden, verkrampften Gesichts, über das sich langsam ein Lächeln breitet. Die verarbeiteten Hände tasten suchend durch die Luft, als wollten sie ein schönes Traumbild einfangen. Als sich dann aber eine warme Wange an die des Mannes anschmiegt, ein weiches Händchen liebkosend über seine Stirne streicht und ein süßer, kleiner Kindermund sich auf den seinen legt, erwacht er und merkt, daß dies alles doch kein Traum ist. Die Lampe brennt, das vierjährige Söhnchen kuschelt sich in seinen Arm, lacht ihn spitzbübisch an und spielt mit der Quaste der Kontaktschnur. „Du hast das Licht angemacht, Hansel? Das sollst du nicht,“ sagt der Vater und droht scherzend mit dem Finger. Der Kleine macht ein Schmollmündchen.„Hansel kann nicht mehr schlafen,“ rechtfertigt er sein Vergehen. „Warum kannst du denn nicht schlafen?“ „Die Sonne ist doch da, Vati, und Hansel will jetzt spazierengehn.“ „Hansel ist dumm. In der Nacht scheint keine Sonne, da ist alles dunkel, da schläft alles,“ wehrt der Vater den Wunsch des Kindes ab. „Die Sonne ist aber doch da,“ trumpft Hansel anf. „Wo denn? Zeig sie mir mal,“ geht der Vater auf sein Geplauder ein. Hansel zieht an der Kontaktschnur, die Lampe verlischt. Aber dunkel ist es im Zimmer nicht. Durch die Fenster flutet roter Lichtschein herein und dringt bis zu den Betten ver. „Siehst du nun die Sonne?“ fragt der Kleine. „Das ist die Sonne nicht, das sind die Feuer der Von Bruno Gluchowshf. Hochöfen,“ erwiderte der Vater. Hausel widerspricht. Er kennt keine Hochöfen, für ihn ist der rote Schein das Sonnenlicht, in dem er spazierengehen will. Der Vater kann seinen stürmischen Bitten nicht widerstehen und sagt zu. Hansel zieht wieder an der Kontaktschnur, klettert eilig aus dem Bett, reicht dem Vater die Hose vom Stuhl und schleppt seine eigene Kleidung herbei Seltsame Nächte im Nuhrgebiet, in denen der Feuerschein der Hochösen und Kokereien sich bis in die Schlafzimmer hineinstiehlt und als strahlende Sonne sich in die Herzen der Kinder hineinzaubert. Seltsame Spaziergänger, die in der Stunde vor Morgengrauen die kleine Arbeiterwohnung verlassen. An seines Vaters Hand tut Hansel den ersten Schritt in ein großes Erlebnis hinein. Leere Straßen mit dunklen Häuserzeilen nehmen sie auf, vereinsamte Gaslaternen werfen ihr blases Licht über sie. In die feierliche Stille der schlasenden Stadt klingt das Echo hinein, das die schweren Schritte des Mannes und die trippelnden des Kindes vom Pflaster lösen. Bald haben sie die engen, holprigen Straßen der Vorstadt hinter sich und biegen in die große Hauptstraße ein, die von den Schienen der Straßenbahn durchschnitten wird. Immer größer klaffen Lücken in den Häuserreihen, bis die Straße nur noch durch Ackerselder führt und in einer scharfen Kurve über die Eisenbahnbrücke läuft. Am Himmel steht das rote Licht, Hansels nächtliche Sonne. Er hat es plötzlich sehr eilig, ihm entgegenzulaufen, er zieht den Vater vorwärts. Plötzlich durchzieht ein dröhnender Schlag die Luft, als würde krachend die Tür zur Wunderwelt aufgeschlagen, die sich nun dem Kinde öffnet. Sie stehen auf der Brücke, vor ihnen liegt das gewaltige Hüttenwerk. dem sich zu beiden Seiten 8 5 5 9 2 3 9 2 S 8 * S S Zechen und Kolereien anreihen.“„Die Sonne, sieh nur, die Sonne!" jauchzt das Kind und klatscht vor Freude in die Händchen und möchte mit ihnen all das greisen, was sich an Unfaßbarem, NiegeEehenen vor ihnen ausbreitet. Dem Manne ist is aules nichts Neues.“ er kennt es von Kindheit an, er ist damit aufgewachsen und vertraut. Aber erst jetzt, in der unbändigen Freude seines Kindes geht ihm auf. welch wundersame Schönheit diese Nacht seiner Industrieheimat vor den Nächten in anderen Landesteilen auszeichnet. Das Feuer beherrscht diese Nacht, und sein Kind hat es in seiner Einsalt ausgesprochen, daß dieses Feuer die Sonne ist die Licht. Wärme und Segen spendet. In leuchtenden Purpurmänteln steigt es aus dem Hüttenwerk zum Himmel empor, das Land ringsum mit seinem warmen Glanze überschüttend. in fortlausender Bewegung, im ständigen Wechsel der bunten Schatten. Als Leitmotiv zieht sich das Feuer durch eine Symphonie der Farben vom zarsten Pastellton bis zum düsteren Grau und Schwarz hin. Tiefschwarze Sithouetten stechen in den glutüberhauchten Himmel und zeitigen eine eigenartige Kontrastwirkung. Schlanke, hochgebaute Schornsteine sind es, behäbige Kühltürme, mächtige Gasometer, wuchtige Wasserreservoire, gigantische Hochöfen, um die sich das Strebenwerk der Erzaufzüge und Gichtbühnen als eiserne Verzierung ranken. Langgestreckte Hallen kauern sich zu ihren Füßen, Werkstätten und Lokomotivschuppen, Maschinenhäuser und Kraftstationen; im Rhythmus nimmerrastender Arbeit erzitternde Gotteshäuser der Arbeit, Mahlmale der schöpferischen Kraft des Arbeitsvolkes an der Ruhr. Schweigend schaut der Mann auf das Hüttenwerk, auf die Fördergerüste der Zechen, die wie Zyklopenarme mit geballten Fäusten zum Himmel emporwuchten und deren Seilscheiben in Sternennähe kreisen, zu den feueratmenden Koksofenbatterien und der unter der Asche glühenden Schlakkenhalden. Das Jubelgeschrei seines Kindes zerreißt die Kette der Gedanken, die sich um ihn geschlungen hat Er schaut auf und folgt der ausgesreckten Hand des Kindes. Am Hochofen haben sie einen Abstrich gemacht. Funkengarben sprühen aus dem unersättlichen Schlund und schleudern ein Feuerwerk von Millionen blitzernden Sternen auf das Firmament. Glühende Riesenaugen glotzen aus den Puddelösen, als feuriger Bach rinnt flüssiges Eisen in die Gießgruben, wie Meteore wandern weißglühende Stahlblöcke über die WalzenKrahen. Aus den Gießhallen wälzt sich ein scharnachfarbenes Lichtmeer und brandet an den rauchgeichwärzten Mauern hinauf, aus den Kesselhäuern zischen milchweiße Dampfwolken, mischen sich mit der rosanen Glut und verflüchten sich in Gebilden von bizarrsten Formen. Dampf und Rauch weben fließende Schleier, die sich wie Feengewänder im Nachtwind bauschen. Aus Feuer und Qualm tauchen Arbeiter wie gespenstische Schatten. Mit ledernen Schurzsellen, Astbesthandschuhen und Drahtmasken stehen die Walzer an den Walzenstraßen und führen den ewigen Kampf des Menschen. Aus einem Rohr züngelt eine bläuliche Riesenflamme überschüssigen Gases und zuckt als nimmerverlöschendes Fanal der Arbeit über das Land, hängt“ wie eine ewige Lampe unter der gewölbten Kuppel des Himmelsdomes. zertsaal, in dem das Spiel der Instrumente schon längst verklungen ist. „Schön, so schön alles“, plappert das Kind und richtet tausend Fragen an seinen Vater, der von der nächtlichen Offenbarung noch ganz benommen ist. Auf alle Fragen findet er eine Antwort, kleidet sie oft in Form eines Märchens. mit dem er den kleinen Wißbegierigen in die Welt der Maschinen und Industriearbeiter einführt und ihm erklärt, wie das alles entstanden und welchem Zwecke es dienstbar ist. Hansel macht große Augen und fühlt sich als großer Mann, der einst dies ganze Land mit seinen Werken erobern wird. Manchmal gähnt er verstohlen, aber nachhause will er noch lange nicht. Sie gehen über die Brücke, um in einem Bogen in die Vorstadt zurückzukehren. Vor einer Zeche, die unvermittelt zwischen Bäumen auftaucht, bleiben sie stehen. Vom Schacht her hallen Glockensignale. tönt das Gekrache aufeinanderstoßender Wagen. Im dunklen Wasser der Klärteiche spiegeln sich die Lichter der Zeche. Der Vater muß Hansel viel erzählen, von den Bergleuten, die tief unter der Erde nach schwarzen Diamanten graben, von Berggeistern. Gnomen und Kobolden, die das unsichtbare Reich der Tiefe bevölkern und dem Bergmann Segen oder Anglück bringen. Und wie schön versteht es der Vater, den Kleinen mit dieser Welt bekannt machen, die seine eigene ist. Aus grauen Dämmerschatten wächst der Morgen auf, in raschem Uebergang von Dunkel zu Hell. In den Büschen beginnen die Vögel zu zwitschern, jubilierend schraubt sich eine Lerche in den Aether hinauf. Auf den Gräsern funkelt der Tau, aus Bauernhäusern quirlt Rauch, die ferne Stadt liegt in einem Dunstmeer. Der Glanz der nächtlichen Hütten und Kokereien verblaßt vor dem prangenden Grün der Wiesen und dem stumpfen Gold der Kornfelder. Die Sonne des Tages geht auf. schiebt sich als blutroter Ball über den Rand des Horizonts und verjagt mit glühenden Pfeilen und Speeren die letzten Schatten der Nacht. Der Kleine ist auf dem Arm seines Vaters eingeschlafen. In seine Wunderträume hinein klingt das Gedengel von Sensen, die Bauern rüsten zur Ernte. Ein Wagen, hochbeladen mit Gemüse und Obst. fährt zur Stadt und nimmt die beiden mit. Die Stadt ist aus ihrem Schlaf zum Leben der Arbeit erwacht. durch die Straßen ziehen die Kolonnen der zu ihren Arbeitsstätten gehenden Bergleute und Fabrikarbeiter. Manch einer hat noch nicht ausgeschlafen und trottet mit grauem, verfallenen Gesicht daher. Aber nicht wenige schauen auf den Mann, der mit glücklichem Lächeln zu seiner Wohnung schreitet, um den versäumten Schlaf nachzuholen, einen kleinen, schlafenden Jungen auf dem Arm. der das blonde Köpfchen an das seine schmiegt, beide erssillt von dem großen Erlebnis eines nächtlichen Spazierganges zmischen Hüttenwerken und Kohlenzechen. Der Mutter Wort. Von Josef Kamp. Weit schweift der Blick des Mannes über das schlasende Land und sieht überall ein Leuchten und Flimmern und Glühen, einen Taumel stehender und jagender Farben. Tausende von Lichtbällen schweben wie Lampions über den ausgedehnten Werksanlagen und spenden festlichste Beleuchtung beim nächtlichen Fest der Arbeit. Ueberall flammen Kreise und Rechtecke, Quadrate und Dreiecke. Rhombriden und Parallele. Wie funkelnde Juwelen auf dem Halse einer dunklen Schönheit schimmern die Signallampen längs der Schienenstränge in weiß und rot und gelb und grün und blau. Ein Rausch von Farden erfüllt die Nacht und schlägt den Zuschauer in seinen Bann. Weit vorgeneigt steht der Mann auf der Brücke und horcht auf die Melodie, die in die Nacht verströmt. Es ist keine zarte Nachtmusik, es ist ein himmelstürmender Sang lebenzeugender Arbeit. Der dröhnende Schlag der Dampfhämmer gibt den Grundton an, Maschinengestampf und Sirenengebrüll begleiten ihn in rhythmischen Intervallen. Turbinen summen eine verträumte Weise, Motore und Generatoren singen ihr Jubellied unversiegbarer Kraft. Schrill kreischen die elektrischen Sägen, wenn sie ihre Zähne in das Eisen schlagen, jaulend und knirschend nehmen die Walzen den glühenden Stahl zwischen ihre malmenden Kiefern. Ueber die Schienen donnern Güterzüge, Preßlufthämmer knattern wie Maschinengewehre, gellende Lokomotivpfifse verlieren sich im Gehämmer und Gevoche. das über den Werkstätten lagert, menschliche Stimmen klingen unwirklich, der klagende Ruf eines Nachtvogels erscheint wie ein Ruf aus einer anderen Welt. Ein Summen und Brausen liegt über all den Werken wie über einem KonAls ich noch ein schmächtiges Hosenbübchen war, hatte mein Vater die Gewohnheit, während der Sommermonate für uns Kinder an einem sonnigen Platz im Garten einen Karren Sand anfahren zu lassen. Das war eine schöne Gewohnheit von meinem Vater. und ich danke ihm dafür noch heute. Mit welcher Lust und Ausdauer wir uns auf so einem gelben, sonnendurchwärmten Hügel zu schaffen machten, das läßt sich gar nicht sagen. Unser Handwerkszeug bestand aus Tellerscher= ben, zerbeulten Blechtassen. ungefährlichen Messerstumpen, zerbrochenen Löffelstielen, Büchsen. Dosen, Deckeln und ähnlichen Kinderherrlichkeiten. Kein Gegenstand der Haushaltung. den die Mutter in den Ruhestand versetzte, konnte so schlecht sein, daß er bei uns nicht noch gnädige Aufnahme gefunden hätte. Für alles hatten wir Verwendung. So zum Beispiel gebrauchten wir Pfannen und Töpfe. um aus dem schönen, eiergelben„Teig“ die herrlichsten Puddinge und Kuchen zu formen. Hatten wir es mit unserer Kuchenbäckerei schließlich satt, so sattelten wir kurzentschlossen um und ergriffen den hohen Beruf eines Baumeisters. Wir schufen Burgen und Schlösser. Dome und Kathedralen. ja, unserer grenzenlosen Kinderphantasie machte es durchaus keine Schwierigkeit ganze Länder und Erdteile erstehen zu lassen, mit Bergen und Tälern und Strömen und Meeren. Und das alles aus Sand! Ich weiß nicht, wie es heute um die Kunst der Kinder steht. aus Sand Kuchen zu backen. Burgen zu bauen und Erdteile zu bilden, mit Bergen und Strömen und Flüssen. Schade wäre es jedenfalls, wenn diese Kunst heute nicht mehr gepflegt würde. Ja. auch die heutigen Väter sollten es noch machen wie früher mein Vater, sie sollten während der Sommermonate einen Karren Sand in den Garten schütten, daß ihre Kinder Bäcker und Baumeister und Weltenlenker sein könnten! Ei, nun bin ich ganz von dem Kern meiner Geschichte abgekommen. Ich wollte doch so recht erzählen, wie ich damals als kleines Schürzenbüblein auf dem Sandhügel im Garten lag und den lieben Herrgott hinter mir stehen hatte. Was! Das glaubt ihr nicht, daß der Herrgott damals wirklich hinter mir gestanden hat? Und doch ist es wahr! Wir rollten uns also eines Nachmittags im Frühsommer wie Maulwürfe auf unserem Sandhügel unter dem Birnbaum, und bei uns saß die Mutter in einem Großvatersessel und strickte an ihrem Strumpj. Es ging schon langsam gegen Abend; der Tag war recht schön gewesen, und im Grün der Nachbargärten läuteten die Meisen und schlugen die Finken und Stare, daß es eine Art hatte. Die Dorfpoeten oder Singdrosseln saßen reihenweise die Straße entlang auf den Giebelfirsten und flöteten mit vielem Verstand in die Abendwolken hinein, die wie bunte Kirchenfenster das Dorf umsäumten. Wir Geschwister also lagen auf unserem Hügel. Wir hatten eben Europa unter uns aufgeteilt. und als wohlsorgende Landesväter waren wir nun eifrig bemüht, in unseren Staaten Städte und Dörfer. Kanäle und Eisenbahnen und ähnliche Werke der Kuttur zu schaffen. Plötzlich gab es Streit. Warum, das kann ich heute nicht mehr sagen. Genug, aus irgendeinem Grunde fühlte sich mein kaum fünfjähriges, hoffnungsvolles Dasein von den älteren Geschwistern gröblich beleidigt. Ich versuchte mich erst in einer stummen Rolle; dann verlegte ich mich aufs Maulen, und da mein gekränktes Selbstbewußtsein so nicht die gebührende Beachtung fand, spielte ich hartnäckig den Spröden. Die Folge aber war nur, daß ich von allen verlacht und mit Spott und Hohn beworfen wurde. Nun war natürlich das Maß der Geduld zum Ueberlaufen voll. Mein verletztes Ehrgefühl bäumte sich gar gewaltig aus. Der Zorn brachte mir die Stirnader zum Schwellen, und in einem wütenden Anfall von Vernichtungswahn fiel ich über die Gebiete meiner Nachbarregenten her und richtete mit einem Schaumlöffel in ihren Kulturstaaten greuliche Verwüstung an. Kein Geschrei. kein Gezeter. keine Drohung brachte mich Wüterich zur Besinnung; mit immer wilderer Gebärde tobte und schlug ich um mich und vollendete die Zerstörung. Auch der Mutter Warnungen und Mahnungen blieben ohne Eindruck. Plötzlich aber sagte sie:„Bub', hüte dich— der liebe Gott steht hinter dir!" Im selben Augenblick kroch die Sonne hinter einer Wolke hervor und ihre abendlichen Strahlen fluteten über den Garten hin wie ein überirdisches Kirchenlicht. Uns alle faßte tiefes Erschrecken. Gewiß, wir wußten ja, der liebe Gott ist überall. Unsichtbar! Aber in diesem Augenblick war es uns, als müßte er sichtbar hinter uns stehen. Im Nu war aller Zank unterdrückt, ja, wir suchten uns in brüderlicher Zärtlichkeit förmlich zu überbieten. Der liebe Gott stand hinter uns! Die erzieherische Wirkung aber, die diese mütterlichen Mahnworte in jenem Ewigkeitsaugenblick erztelten, war nicht von vorübergehendem Erfolg; nein, auch fürderhin klangen mir bei jeder Gelegenheit, wo das Böse in mir zu rebellieren anfing, jene mahnenden Worte ins Ohr; und noch heute ist es mir, wenn einmal das Leben mit zweifelhaften Lüsten lockt, als hörte ich die Stimme der Mutter:„Der liebe Gott steht hinter dir!“ Wir Frauen. Wir sind wie Lieder auf den Saiten der Welt: kommen und gehen. Aber die Farbe aus unseren Stunden legt ihren leiseschimmernden Glanz über die Zeit. Es klingen weiße, schlasende Lieder— die Lieder der Wiegen— sie schwingen kurz. Blauende klingen... und träumende, blinde, grüne und starke und harte laufen zitternd über die schwingenden Saiten, schweben und weben in ewige Weiten und geben der ihr buntfarbig Kleid. s (Nachdruck verboten.) 1. Kapitel. Ein wunderschöner Herbsttag lag über Berg und Tal. Weich und lind schwamm das vielstimmige Klingen der Herdenglocken über die Wiesen und weckten im nahen Wald ein starkes Echo. Auf der Wiese, die hart an den Wald grenzte, saß ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen, die Geißel um die aufgeschlagenen Knie verschlungen, und träumte in den farbigen Wald hinein.". Außer einem Hemdchen von ungebleichtem Leinen und einem Röckchen trug die Kleine nichts am Leibe. Zwei blonde Zöpfe hingen schwer und golden über die schmalen Schultern herunter und aus dem kindlichen Gesicht mit der schlanken Nase und dem feingeschnittenen Mund sahen ein Paar dunkle Augen mit einem leisen Ausdruck von Schwermut in die Welt. Vor ihrem geistigen Auge zog die Vergangenheit vorüber. Ein Lachen klang da herauf, wie aus einer tiefen Versunkenheit. Ihr eigenes Lachen. Ganz sorgenlos klang es. Langsam strich sich das Kind über die Augen und seufzte: „Ach— wieder einmal so lachen können— so recht von Herzen lachen.“ Helene war ein Waisenkind und stammte von reisenden Schauspielern. Die Mutter verlor sie schon mit acht Jahren. Zwei Jahre später mußte der Vater fort, in den großen Krieg und kam nie wieder. Bei Arras schlummert er den ewigen Schlaf. Der Ramscheder, einer der reichsten Bauern, nahm die Waise in sein Haus. Die ersten Jahre ging es. Das elternlose Kind war für alles dankbar, was man ihr im Hause des reichen Bauern gab. Ihr junges Kinderherzchen aber blutete, wenn man ihr immer in gehässiger Weise ihre Herkunft vorhielt. „Komödiantenbalg!“, so hieß es unzähligemal. Was tat sie denn den Menschen zu Leide, daß man sie so quälte? Sie sehnte sich so unsagbar nach Liebe und Sonnenschein. Wär es da ein Wunder gewesen, wenn Helenchen wünschte fortzukommen? Je älter sie wurde, desto stärker wurde in ihr der Trieb zu wandern, wie ihre Eltern es getan hatten. Schauspielerin wollte sie werden und auf den Brettern leben, die die Welt bedeuten. Das Blut der Eltern wurde wach in ihr und mit jedem Tag empfand sie ihr Dasein qualvoller. Immer schweigsamer und verschlossener wurde sie. Wie eine Traumwandelnde trieb sie morgens die Kühe auf die Weide und abends wieder heim. Aber nachts, da wurde ihr Kinderseelchen wach. Stundenlang stand sie da am offenen Fenster und starrte in die Nacht hinaus. Ganz langsam legten sich die Schleier des Abends über die Wiesen. Ein kühler Wind wehte von den Bergen herab und trug das Klingen der Herdenglocken mit fort. Helene merkte von dem nichts. Mit wachenden Augen träumte sie vor sich hin. Es war schön, dieses Träumen. Da wurde sie plötzlich von einer Stimme angeErschreckt fuhr sie herum und sah über sich ein Paar lüstern funkelnde Augen. Es war Franz Bergmann, der Praktikant auf dem Gute WildenLachend streckte er die Arme nach ihr. Doch ehe er sie anfassen konnte, war das Mädchen schon vom Boden aufgeschnellt und sah ihn mit blitzenden Augen an. „Schau einmal", sagte Bergmann spöttelnd, „was du für wilde Augen machen kannst!" Mit raschem Griff zog er sie an sich. „Rühr mich nicht an!“ stöhnte Helene auf. „Nicht anrühren?" Bergmann lachte spottend. „Warum sträubst du dich denn so? Ihr von der Schmiere seid doch sonst nicht so? Mit einem gurgelnden Laut in der Kehle, richtete Helene sich auf. In heißem Zorn kam es über die Lippen: „Du—! Paß nur auf, daß du dich nicht täuscht. Wenn ich auch nichts dagegen machen kann, daß du mich und meine toten Eltern beschimpfst, aber einen Herrgott gibt es, der dich bestraft für alles, was du mir antun willst.“ Ein zynisches Lachen ward ihr zur Antwort. Dann riß Bergmann das zitternde Leben an seine Brust. Helene war machtlos gegen diese roh=entfesselte Kraft und mußte die brennenden Küsse dulden. Schon fühlte sie ihre Kraft erlahmen, da kam plötzlich ein jagender Schritt vom Wald herunter. Bergmann ließ das Mädel los. Wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich ein junger Mann, in der Tracht der Jagdgehilfen vor den beiden. „Was gibt es denn? Hat nicht jemand um Hilfe geschrien?“ „Oh. nichts von Bedeutung", erwiderte Bergmann, dem Blick des Jägers ausweichend.„Nur gescherzt haben wir ein wenig?“ Helene warf einen dankbaren Blick auf ihren Retter, den sie nicht kannte. und trieb dann eilig ihre Herde zusammen. Bergmann war lautlos in den Stauden verschwunden, doch der Jäger stand noch immer am gleichen Platz und blickte in die Dämmerung hinaus. „Da stimmt irgend etwas nicht", sagte er vor sich hin. Die beklommene Sorge in den Augen des Kindes und der zerfahrene, nervöse Blick Bergmanns bei seinem unerwarteten Erscheinen ließen die Gedanken Ruppert Hillers, des neuen Wildreuterjägers nicht gleich zur Ruhe kommen. Helene war mit ihrer Herde schon hinter der Hecke verschwunden. Nur mehr ganz matt und ohne Klang tönte das Läuten der Herdenglocken zum Wald herauf. Endlich wandte sich der Jäger um und stieg empor zu seiner Jagdhütte. * Als Helene ihre Herde durch das Dorf trieb, stutzte sie auf einmal. In schillernden Farben verkündete da an einer Telegraphenstange ein Plakat die Eröffnungsvorstellung der Wiener Operettenbühne, Dir. Ferdl Kollmann. Zur Aufführung gelangt:„Der fidele Bauer.“ Weiter konnte Helene nicht mehr lesen, weil sie der Herde nacheilen mußte. Aber ihr Herz begann heftig zu schlagen. Auf dem freien Platz beim Dorfbrunnen sah sie drei Wohnwagen stehen, genau wie ihre Eltern sie hatten. Fahrende Heimat.... Welch eine Fülle von Reiz und Nomantik birgt dieses Wort in sich! Mit einer kosenden Gebärde fuhr Helene über die Außenwand eines Wagens und zuckte dann erschreckt zusammen. Auf der Treppe, die in das Innere des Wagens führte, saß ein junger Mensch. den Kopf in die Hände gestützt, vor sich hinträumend. War es auch einer, dem Heimweh das Herz zermartete? Helene spürte Lust, ihm über das volle, dunkle Haar zu streicheln. Aber als er den Kopf hob und sie mit großen Augen ansah, wandte sie sich flüchtig ab. Daheim angekommen, wurde sie mit rohen Schimpfworten empfangen. Heute empfand sie jedes Wort wie einen schmerzenden Peitschenhieb. Es waren zuviel Kindheitserinnerungen wachgeworden. Beim Abendessen sagte der Namscheder zum Oberknecht: „Schließt alles heut! Dös Komödianteng'sindel hat lange Finger.“ Da schrie Helene auf; „Wir Komödienten stehlen nicht!“ „Halt's Maul, wenn'net'fragt bist.“ „Wir sind vielleicht ehrlicher als andere“, wollte Helene noch sagen. Aber da schlug ihr Klara, die erst acht Jahre alt und die einzige Tochter vom Ramscheder war, mit geballter Faust ins Gesicht. „'s Maul sollst halten, hat der Vater'sagt!“ Helene wollte den Schlag zurückgeben, aber da umklammerte Ramscheder ihr Handgelenk mit hartem Griff.„Grad unterstehn tu dich!“ Helene stand noch immer in ihrem Stübchen am offenen Fenster. Draußen eine wunderschöne Mondnacht; windstill und gar nicht kalt. In den Häusern waren die Lichter bereits erloschen. Still und schweigsam lagen sie vom Silberlicht des Mondes umflossen. Da— mit einemmal drang ein seltsamer Ton durch die Stille. Eine Geige begann zu singen. Wie ein Weinen, ein Schluchzen war es. Dann ein seines Ineinanderschmiegen aller Töne; ein Jubeln. ein Auflachen. Es war, als rauschen junge Bäche — Blumen blühen, alles ist Aufstieg und frohes Erwarten. Dann— ein scharfer Ton— die Vernichtung beginnt. Wie ein Sturmwind segt es über alles Froh=lächelnde, über alle Beglücktheit der letzten Trioli hinweg, reißt alles schön Erblühte mit sich in Tod und Tiefe. Zuletzt noch ein paar weiche, schmelzende Klänge, wie ein Versöhnen aller schroffen Gegensätze. Still war es wieder. Helene hörte drüben bei den Wohnwagen eine Tür öffnen und wieder zuschlagen. Ein Licht flimmerte auf und erlosch nach einer Weile wieder. Vom Kirchturm klangen elf dunkle Schläge. Heleue schloß das Fenster und legte sich schlafen. Doch noch mußte sie an den einsamen Geiger denken, in dessen Lied alle Sehnsucht seines Herzens geklungen hatte. 2. Kapitel. Am andern Abend. Helene hatte sich den Zutritt zur Vorstellung erbettelt. Heimlich hatte sie sich von Zuhause fortschleichen müssen. Nun saß sie hinter der Bühne, zwischen der ersten und zweiten Kulisse und beobachtete mit brennenden Augen das Spiel. Die leichtbeschwingte Musik der Operette erfüllte sie mi. trunkener Freude. Und über all dies vergaß sie ihren Kummer und ihre Sorgen. Ach, nur auch einmal spielen dürfen, Lorbeeren ernten und vielleicht groß und reich werden. Reich, wie der Wildreuter drüben, von dem man sagte, daß er in Gold schwimme. Die Vorstellung war zu Ende. Aber immer noch kauerte Helene in ihrem Winkel. Sie sah den Komödianten zu, wie sie sich langsam abschminkten und umzogen. Da stand plötzlich ein großer, schlanker Mann neben ihr, die Geige unterm Arm, mit dem Bogen leicht an sein Beinkleid schlagen. „Warum mußt du weinen, Kind?“ Erschreckt sah Helene auf und wischte sich mit einer haftigen Gebärde über die Augen. Sie hatte selbst nicht gemerkt, wie ihr die Tränen über die Wangen rollten. Ganz unwillkürlich war es gekommen. Dann sagte sie leise: „Ich bin so unglücklich!“ Um die Lippen des Geigers flog es wie leichter Spott. „Anglücklich? Und noch so jung?“ fragte er mit einer schmelzend weichen Stimme. Helene seufzte ein wenig und ließ das Köpfchen sinken. Würde denn niemals im Leben jemand begreifen, daß sie unglücklich war? „Wie heißt du denn?“ fragte der Seiger in ihre Gedanken hinein? „Helene! Heleue Stay!“ „Stay?“ fragte der junge Mann laut und gedehnt. Direktor Kollmann erschien unter der Tür des Nebenzimmers, das zugleich als Garderobe diente. „Stay? Ich habe doch soeben den Namen Staz gedürt?“ „Die Kleine hier heißt so“, antwortete Alex Petri, der Geiger. Kollmann kam näher und betrachtete Helene. „Stay heißt das kleine Fräulein? Und wem gehört sie denn?“ „Ich habe niemand mehr. Meine Eltern hatten einst auch eine Wanderbühne, aber sie sind schon lange tot.“ „War dein Vater nicht aus Linz und deine Mutter aus der Wachau?“ „Doch, meine Eltern waren von dort.“ „Komm einmal mit, Kleine.“ Kollmann saßte Helene bei der Hand und führte sie seiner Frau vor. „Denk dir nur Theresl, wen ich da bring. Schau einmal das Gesichtl an, fallt dir da nix ein?“ Kopfschüttelnd betrachtete Frau Kollmann Helene und sah dann wieder fragend auf ihren Mann. „Bekannt kommt mir das'sichtl schon vor. Aber ich weiß nicht, wohin damit.“ „Glaubs schon. Aber denk dir nur, wen ich da'funden hab... Die kleine Stay— dem Stay Franzl sein Kind!“ „Ja, is denn möglich? Ja freilich! Sie is ja ganz ihre Mutter. Grad so war's Annerl, wie noch ein Kind war.“ Frau Kollmann zog Helene an sich.„Jetzt erzähl mir nur grad, wie kommst denn daher? Hab dein Mutterl gut kennt. Sie war aus dem gleichen Ort, wie ich. Und dein Vater war ein guter Freund von mein Ferdl. Na, so was! Wer hätt' denn das denkt, daß wir dich einmal finden täten.“ „Würdet ihr mich bei euch behalten?“ fragte Helene zögernd in den Wortschwall der Direktorin hinein. „Aber freilich, Kind! Wie du nur so fragen kannst. Gelt, Ferdl, wir nehmen die Kleine zu un „Versteht sich, wo wir doch so gute Freund waren, der Franzl und ich. Sie soll nur gleich dableiben.“ „Rein, das geht nicht! Man würde mich suchen und wieder auf den Ramsched schleppen.“ „Ich werde morgen mit deinem Vormund reden". sagte Kollmann und fuhr dem Kind zärtlich über den blonden Scheitel. Dann schickte sich Helene zum Heimgehen. Drauhen, an einem der Wagen lehnte Alex Petri, der Geiger. „Spielst du heut auch wieder ein so schöner Lied?“ fragte Helene bittend. Er nickte gewährend und Heleue huschte mit flinken Sprüngen dem Namsched zu. * Am andern Morgen erschien Direktor Kollmann auf dem Ramschedhof und fragte nach dem Bauer. Der saß gerade in der Stube bei einer ausgiebigen Brotzeit und musterte den fremden