Areis Piurt für das Münsterland. Gratis=Beilage zum Westfälischen Merkur. No. 83. Sonntag, den 16. October 1859. Unterhaltendes. Ein Tag aus dem Leben eines Gelehrten.*) (Eine Erzählung.) Eduard— so wollen wir einen jungen Doctor und Professor der Philosophie auf der Universität zu H. nennen— saß nach seiner Gewohnheit schon früh am Tage vor seinem Schreibtische, abwechselnd nachdenkend, lesend und schreibend, augenscheinlich so tief in die wunderbare Welt des Gedankens versunken, daß er gar keinen Sinn zu haben scheint für die Herrlichkeit des Frühlingstags draußen, welcher freilich nur in Gestalt eines mächtigen Stückes blauen Himmels und auf den Fittigen sanfter lauliger Lüfte zu den offenen Fenstern hereindringt. Wir stören ihn gewiß nicht, wenn wir ihn etwas näher betrachten. Man kann sich nichts Geistreicheres denken, als sein Antlitz, und nichts Schöneres, als sein tiefes blaues Auge. Auf der hohen glatten Stirn thront der Gedanke, und der Mund ist so fein und anmuthig geschnitten, daß er für die beredten Offenbarungen eines reichen aufstrebenden Geistes wie geschaffen erscheint. Aber leider bemerken wir auf diesem bedeutenden und anziehenden Gesichte eine kränkliche Blässe, unstreitig die Folge angestrengter Geistesarbeit und nächtlicher Studien; ebenso wenig entgeht uns eine gewisse Abspannung und Schlaffheit der schlanken und magern Gestalt. Doch auffallender noch ist die äußerst vernachlässigte Kleidung des Gelehrten. Ihr Hauptverdienst ist Bequemlichkeit, ihr geringster Vorzug Neuheit und Eleganz. Der Schlafrock— vielleicht stammt er noch aus den Universitätsjahren des Doctors— trägt in zahllosen Dintenflecken die Spuren rastlosen Schriftstellerthums und ist überdies an den Aermeln sehr stark mitgenommen. Doch dient er wenigstens dazu, um manche tiefer liegende Mängel der Kleidung schamhaft zu verhüllen. Freilich die Pantoffeln kann er unserem Auge nicht entziehen, welche alt und hinten niedergetreten sind und vorn der großen Zehe einen neugierigen Blick in's Freie gestatten. Ueberaus friedlich harmonirend mit dieser etwas stark saloppen Erscheinung des gelehrten Herrn ist die ganze Ausstattung und Einrichtung des Zimmers. Das Meublement scheint aus einer Trödelbude entnommen, so wenig will das altväterische gebrechliche Sopha zu den modernen Stühlen und der dintenbeklexte schriftenbeladene Tisch zu den eleganten Schränken passen, welche des Professors reiche Bücherschätze enthalten. Und nun dazu diese liebenswürdige *) Aus„Trewendts Volkskalender“ für 1860, der durch seinen neuesten(16.) Jahrgang, sowohl was Inhalt als Ausstattung beirifft, seine ausgezeichnete Stelle unter den zahlreichen Volksschriften ähnlicher Art behauptet, und sich neue Freunde erwerden wird. Unordnung, die man gewohnt ist, eine„gelehrte“ zu nennen. Bücher und Schriften aller Art auf Sopha, Stühlen und Tischen zerstreut, neben der nicht eben saubern Oellampe die Reste und Geräthe des halbgenossenen Frühstücks; hier und da ein Kleidungsstück nachlässig hingeworfen. Der Fußboden scheint lange nicht die Wohlthat einer gründlichen Wäsche erfahren zu haben; nicht minder mögen der Bürste, dieser Feindin des Staubes, allzu viele Feiertage vergönnt sein. Armer Eduard! Du bist ein großer und berühmter Gelehrter; aber eine fehlt Dir,— eine zarte und liebende weibliche Hand, welche Dein reiches Gemüths= und Geistesleben mit dem Schmucke äußerlicher Anmuth und Schönheit zu umgeben vermöchte! Eduard war, wie schon bemerkt, so sehr in sein Studium vertieft, daß er längere Zeit gar nicht wahrnahm, wie eine ältliche Frauensperson mit dem Besen in der Hand und nicht ohne bedeutendes Geräusch die Diele zu bearbeiten ansing. Frau Wunderlich war es, des Doctors weibliches Faktotum. Gänzlich unbekümmert darum, ob sie die Geburt eines großen und glücklichen Gedankens störe, verrichtete sie ihr Geschäft mit gewohnter Energie und zwar diesmal mit einem solchen Kraftaufwande, daß jener endlich ärgerlich auffuhr und ihr zurief: „Aber, Frau Wunderlich, was machen Sie da für einen Lärm! Kann man denn nicht einen Augenblick ungestört sein?“ „Nun, muß ich denn nicht aufräumen?“ gab sie etwas pikirt zur Antwort. „Ei, kann denn das nicht warten, bis ich ausgegangen bin? Sie sehen, ich bin beschäftiget. Stören Sie mich nicht. Oder wenn Sie denn durchaus lärmen wollen, so lärmen Sie wenigstens leise.“ „Ja, beschäftiget, immerfort beschäftiget! Daß sich Gott erbarm'!“ Frau Wunderlich begleitete diese Worte mit einem sehr vernehmlichen Seufzer und einem anklagenden Aufschlagen der Augen gen Himmel. „Was haben Sie dagegen einzuwenden, daß ich beschäftiget bin?“ „O Nichts, Nichts weiter, als daß sie sich ruiniren. Der Herr Professor wollen es mir nicht übel nehmen; aber ich meine es gut. Es ist eine Sünde und eine Schande! Ich hab' es wohl an der Lampe gesehen, daß Sie wieder die halbe Nacht aufgesessen haben. Das ganze Oel ist ausgebrannt. „Nun ja, ich bin aufgesessen. Was schadet das?“ „Was es schadet? Daß Sie Ihre Gesundheit zu Grunde richten,— das schadet es. Die Nacht ist zum Schlafen, Herr Professor, und nicht zum Studiren. Und wenn Sie so fortfahren, Herr Professor, so wird es ein Ende mit Schrecken nehmen. Betrachten Sie sich einmal im Spiegel, wie Sie aussehen. Wie blaß und verwacht; die Augen liegen ganz tief im Kopfe.“ „Weib, schweigen Sie. Sie sind mir höchst unbequem.“ „Freilich, freilich, man ist immer unbequem, wenn man die Wahrheit sagt. Aber ich will es in Ewigkeit und vor der ganzen Welt sagen, daß es ein Jammer ist, wenn ein so feiner und lieber junger Herr, wie Sie, Herr Professor, sich wie eine Schnecke in's Haus verkriegt oder wie ein Wurm in die Bücher vergräbt. Ist das ein Leben? Der ärmlichste Holzhacker hat's besser!“ „Was verstehen Sie vom Leben? Ihr Leben ist nicht das meinige!“ „Nun ja, ich bin nicht so gelehrt wie der Herr Professor. Aber, Gott sei Dank, das weiß ich denn doch, was sich schickt. Und da sage ich denn: es schickt sich nicht, daß der Herr Professor einen so alten und zerrissenen Schlafrock anhaben.“ „Meinen Schlafrock meinen Sie? Ei, der ist noch gut genug, hauptsächlich, er ist bequem.“ „Und dann die Pantoffeln! Die tragen Sie nun schon seit ein paar Jahren Tag für Tag. Sehen Sie nur, wie sie niedergetreten und zerrissen sind.“ Eduard hob den Fuß ein wenig und betrachtete lächelnd das Prachtstück.„Sie haben recht, Frau Wunderlich," bemerkte er gutmüthig.„Die haben nun fast ausgedient. Ich werde daran denken, ein Paar neue zu kaufen. Aber jetzt, ich bitte, lassen Sie mich. In der That, Sie rauben mir kostbare Minuten.“ „Noch eins habe ich auf dem Herzen““ sagte Frau Wunderlich, die sich heute ordentlich vorgesetzt zu haben schien, den guten Gelehrten aus der Fassung zu bringen.„Ich muß Sie bitten, Herr Professor einmal auf ein paar Stunden auszugehen, damit ich das Zimmer reinigen kann. Ich kann den Schmutz nicht länger ertragen. „Nein, das geschieht nicht!“ rief Eduard fast zornig ausbrechend.„Das verbiete ich ganz bestimmt. Nicht wahr, daß Sie mir mit Ihrer heillosen Ordnungsliebe meine Bücher und Schriften durcheinanderwerfen, und ich aus meiner Ordnung komme! Daß Sie mit einer Sündfluth die Diele überschwemmen, und ich mir von dem schmählichen Wasserdunst den Schnupfen hole. Ich würde sehr böse sein, wenn Sie mir einen so verrätherischen Streich wie das letzte Mal spielten.“ „Nun, nun, mir kann's ja gleich sein!“ erwiederte mit einem halb beleidigten Aufwerfen der Oberlippe die Dame vom Besen.„Mir kann's gleich sein, ob der Schmutz singerdick auf den Dielen liegt und alle Leute darüber spotten und lachen. Der Herr Professor sagen: es ist gut so! und da muß es wohl gut sein. Ach, daß ich doch eins noch erleben möchte! Dann würde es wohl anders werden.“ „Was möchten Sie noch erleben? Wie kann es anders werden?" fragte Eduard zerstreut, da er schon wieder halb bei seiner Arbeit war, auf diesen letzten bedeutenden Stoßseufzer der wunderlichen Frau Wunderlich. „Nehmen Sie eine Frau, Herr Professor, dann wird's anders werden!" lautete die schnelle Entgegnung.„Unser einer vermag Nichts. Aber eine Frau kann durchgreifen. Die hat das Recht dazu.“ sind Sie wahrlich nicht gescheut!“ polterte jener halb ärgerlich, halb belustiget.„Ich heirathen! Wo denken Sie hin? Das wäre von allem Tollen das Tollste. Und jetzt, Weib, lassen Sie es endlich genug sein. Gehen Sie, gehen Sie. Ich will allein sein.— Frau Wunderlich ging brummend von dannen. Aber die Ruhe, welche Eduard sich erkämpft hatte, sollte ihm nicht lange zu Theil werden. Denn es klopfte an der Thüre, und herein trat ein stattlicher wohlgekleideter Mann, vielleicht einige Jahre älter als Eduard, aber viel kräftiger und frischer, überhaupt eine prächtige männliche Erscheinung. Heitern Antlitzes näherte er sich dem Professor und schüttelte ihm grüßend die Hand. „Störe ich Dich, Eduard?“ fragte er im Tone traulichster Freundschaft.„Doch wie kann ich fragen? Dich stört man immer. Du bist immer beschäftiget.“ „Nein, Wilibald, Du störst mich niemals! Du bist stets willkommen!“— Und geschäftig das Sopha von den darauf liegenden Büchern säubernd, fuhr er liebenswürdig geschwätzig sort:„Siehe, den Spinoza und Leibnitz und Cartesius und alle die ehrwürdigen Häupter werfe ich vom Sopha herunter, um Dir ein bequemes Plätzchen zu bereiten. So. Jetzt setze Dich!— Freund, Du kommst mir recht zur guten Stunde. Ich bin in meinem neu'sten Werke ein gutes Stück weiter gekommen. Seit wir uns das letzte Mal sahen, habe ich die glücklichsten Resultate und schwelge recht eigentlich in Schaffenslust. Willst Du, so besprechen wir Einiges.“ „Nein, Eduard, heute nicht, heute Nichts von Philosophie und sonstigem gelehrten Kram. Hast Du denn keine Ahnung, was mich heute so früh zu Dir führt?“ „Nein, ich wüßte nicht".... „Nun, Freund, es ist ja heute Dein Geburtstag!“ „Mein Geburtstag?“ rief der Professor erstaunt.„Laß sehen! Der erste Mai? Richtig, der hat mich in dieses wunderliche Chaos der Welt hineingeworfen. Siehe, das hatte ich ganz vergessen! „Dachte ich es mir doch!“ entgegnete der Andere lachend. „Der gelehrte Herr vergißt, daß er geboren ist.— Wohlan, Eduard, was soll ich Dir wünschen zu Deinem Wiegenfeste?“ „Mir? Nichts! Denn ich bedarf Nichts.“ „So laß mich Dich anders fragen: Bist Du glücklich? „Ja, Wilibald bei dem Ewigen, ich bin glücklich! Was fehlt mir? Ich habe ein Amt, daß mich nährt. Mein Amt gewährt mir mehr: Die reinste und vollste Befriedigung in einem edlen, geachteten Wirkungskreise. Die Arbeit meines Geistes ist den höchsten und wichtigsten Problemen der Menschheit zugewendet, und wie wenig ich auch davon ahne, erkenne und setze, so ist es doch werth, daß man es liebt und seine Freude daran hat.“ „Armer Eduard!“ „Warum arm? Du sprichst in Räthseln, Wilibald.“ „Weil Du Dich täuschest. Du glaubst glücklich zu sein, und bist es nicht.“ „Nun, ist nicht der Glaube schon Besitz und Glück?“ „Aber ein unsicherer Besitz, ein trügliches Glück! Eine Seifenblase, welche ein Windhauch zerstört. Du lebst in der Gedankenwelt und nicht in der wirklichen Welt. Aber die wirkliche Weli hat ein unveräußerliches Recht an jedem vom Weibe Geborenen, und sie wird es auch bei Dir geltend machen. Dann wirst Du schmerzlich erfahren, wie bitter Du Dich getäuscht hast, wie Dein ganzes in die Wolken gebautes Glück nur ein schönes Traumbild gewesen ist.“ „Nein, nein, Du sollst mir nicht bange machen! Ich bin meines Glückes unmittelbar gewiß.“ „Das wärest Du, wenn Du liebtest!“ „Wie, Freund?“ rief Eduard mit großem Erstaunen, „ich liebte nicht? Hältst Du mich denn für einen armseligen und verknöcherten Egoisten? Ich liebe zum Beispiel Dich, Du Bester, mit der ganzen Wärme und Kraft meiner Seele.“ „Liebst Du sonst Niemand in der ganzen weiten Welt?“ „Wen sollte ich lieben? Ich habe nicht Vater und Mutter, nicht Bruder und Schwester. Ich bin frühzeitig Waise geworden und meine Jugend ist einsam verflossen. Meine Gefährten waren die Bücher und meine Ergötzung die Wissenschaft. Aber darum ist der göttliche Funke der Liebe in mir nicht erstorben. Meine Liebe umfaßt die ganze Welt, aber freilich nicht, wie sie ist— denn so kenne ich sie nicht,— sondern wie sie in meinem Geiste sich abspiegelt, wie ich in der Kraft meines Nachdenkens sie mir gestalte. Da habe ich niemals Ursache, mit ihr unzufrieden zu sein.“ „Und so liebst Du doch nur Ideale und Schattenbilder. Aber Du solltest der wirklichen Welt näher treten, um zu versuchen, ob nicht auch sie liebenswerth ist.“ „Ja, wenn aus einem Uhn eine Lerche werden könnte!“ „O damit hat es keine Noth. Glaube mir, in Dir ist von der Lerchennatur genug vorhanden, daß Du, wenn Du die garstige Uhumaske nur erst abgewerfen hättest, Dich muthig aufschwingen und manch' frohes Lied aus voller Brust singen könntest.“ „Das sagt Deine herzliche Freundschaft. Leider kenne ich besser.— Doch es ist sonderbar, daß Du, freilich auf andere Weise, dieselben Saiten des Gesprächs anschlägst, welche meine würdige ancilla, Frau Wunderlich, aber recht unsanft berührt hat. Die gute Alte. Sie dient mir treu seit Jahren Ich habe sie verwöhnt. Doch sie meint es gut, und ich muß sie gewähren lassen. Sie hat mich heute schon tüchtig ausgescholten.“ „Was meinte die Treffliche?“ „Was Du! Ich solle mich herausreißen; es sei eine Sünde und eine Schande, daß ich mich so in Büchern vergrübe. Ich solle auch nicht mehr Nächte lang aufsitzen, sonst werde ich meine Gesundheit zu Grunde richten.“ „Und hat sie nicht Recht?“ erwiederte Wilibald mit großem Ernste, des Freundes Hand ergreifend.„Eduard, was Du da halb scherzend sagst, ist meinem Herzen der Gegenstand der schmerzlichsten Besorgniß. Du bist mir der liebste Freund auf Erden, und so habe ich ein Recht, Dir zuzurufen: Halt ein! Du richtest Dich zu Grunde! Du reibst Dich auf! Wohl ist der Geist der Herrscher in der kleinen Welt,„Mensch“ genannt, aber er soll sein Gefäß, sein Werkzeug, den Leib, nicht muthwillig oder tyrannisch zerstören.“ „Ich fühle es wohl, daß Du nicht ohne Grund besorgt bist. Ich bin bisweilen recht matt und schwach, und auch die Brust ist nicht mehr so frisch und frei wie sonst. Doch sei ruhig, ich will mich bessern; will mir mehr Bewegung machen und nicht mehr die Nächte über meinen Büchern und Manuscripten verwachen. Freilich, das muß ich sagen, wenn ich aufhören sollte zu studiren und zu arbeiten, so würde ich meinen, in mein Grab steigen zu müssen.“ „Alles mit Maßen.“ Ich habe Dein Versprechen und bin zufrieden. Ich werde dafür sorgen helfen, daß Du ihm treu bleibst. Doch was sagte Frau Wunderlich ferner?“ „Das ich mich besser, eleganter kleiden möchte.“ „Wohl gesprochen! Ich bin derselben Meinung. Denn, liebster Freund, nimm es mir nicht übel, Deine Garderobe, wie Du da vor mir stehst, ist werth, an den ersten besten zerlumpten Jungen verschenkt zu werden.“ „Ei, was die Schönheit anbetrifft, so gebe ich sie Preis. Aber sie ist außerordentlich bequem. Ich glaube, daß ich in einem neuen engen Schlafrock und pressenden Pantoffeln nicht würde denken und studiren können.“ „Erhabener Philosoph, dessen Orakelsprüche von Schlafrock und Pantoffeln abhängig sind!“ „Spotte, wie Du willst. Es liegt in der Gewohnheit eine dämonische Gewalt, die sich auch den am freisten geborenen Geist unterwürfig macht. Weißt Du nicht, was man von Kant erzählt? Er habe im Kolleg während des Vortrags seine Augen immer auf die Stelle am Rocke eines armen Studenten gerichtet, wo ein Knopf verloren gegangen. Als nun der Gute den Schaden endlich ausgebessert, sei der große Professor ganz wirr geworden; er habe nichts Rechtes herausbringen können und den Studenten bitten müssen, den Knopf wieder herunterzuschneiden. „Nun, selbst auf die Gefahr hin, daß es Dir ähnlich wie dem berühmten Königsberger ergehen möchte, sollst Du doch Deine alten abscheulichen Pantoffeln nicht länger tragen. Sieh hier"— Wilibald zog bei diesen Worten ein Päckchen hervor—„ich erzählte meiner Frau und Schwester von dem traurigen Zustande Deiner häuslichen Fußbekleidung,— da nahmen sie sich gleich vor, Dir ein Paar neue Pantoffeln zu sticken. Da sind sie. Die Damen bitten Dich, sie als ein kleines Geburtstagsangebinde anzunehmen. (Fortsetzung folgt.) Miszellen. (Wie man sonst Diät verschrieb.) Ein altes, seltenes Buch ist uns durch Zufall zu Händen gekommen:„Der gerade Weg zum langen Leben,“ von Dr. Venner, einem Zeitgenossen Shakespeare's, aus dem wir ersehen, daß die damalige Zeit nicht nur reich an Männern war, die sich des Geistes und Witzes, sondern auch eines gesunden Appetits erfreuten. In dem Werke werden nämlich die Grundsätze der Diätetik weitläufig berührt, nach welchen man damals leben sollte. Als ein leichtes Frühstück für schwache Magen empfiehlt der Autor ein paar hartgesottene gehackte Eier mit Sauce, einigen Pfefferkörnern, dazu Brod und Butter und einen„guten Schluck" rothen Franzwein. Auch sei ein„guter Zug" weißer oder Rheinwein oder ein Krug Porter Morgens nüchtern im Allgemeinen sehr gesund. Als goldener Spruch wird empfohlen:„Wenn du speisest, denke nicht nach, sondern kaue!“ Fisch und Fleisch sollen nicht bei derselben Mahlzeit genossen werden, sie vertragen sich nicht mit einander. Wasser als Getränk verwirft der vortreffliche Doktor gänzlich, es sei nur für Leute in heißen Ländern nützlich. Auch auf Fruchtweine ist er nicht gut zu sprechen und würde, wenn er jetzt noch lebte, mit Herrn Petsch in gewaltigen Konflikt gerathen. Shakespeare's Fallstaff gibt ihm Gelegenheit, über den„Sect" zu sprechen. Er sei heiß und dünn, theile daher dem Körper schnell Wärme mit, und eigne sich daher vorzüglich für„alte und dicke Personen“, daß Fallstaff aber nur für einen halben Penny Brod dazu genoß, war gefehlt; man solle ihn nur mit vielen und schweren Speisen genießen. Was wird aber der Mäßigkeitsapostel Herr von Seld dazu sagen, daß der Doktor „gebrannte Wasser empfiehlt, die das Leben erhalten und das Alter zurückschrecken?! (Für Biertrinker.) Da lese ich eben, daß in Bayern durch allerhöchste Entschließung den Brauern gestattet worden ist Doppelbier zu machen.— Was doch diese Bayern schändlich weit zurück sind! Zu solchen Dingen brauchen Sie noch allerhöchste Entschließungen! Bei uns, wo man das neu erfundene Bierpulver hat, schüttet einer, wenn er will, zwei Papierchen voll hinein und er hat Doppelbier, so ost es ihm gefällig ist und braucht dazu keine Erlaubniß. So macht man's in Jegenden, wo Freiheit herrscht. Wilhelm Schulze, Einwohner von Berlin, Leipzigerstraße. (Ein amerikanisches Verdict.) Bei einer Geschwornengerichtssitzung in Buffalo kam kürzlich der Fall vor, daß die Geschwornen das merkwürdige Verdiet fällten:„Der Angeklagte ist schuldig; doch zweifelt man, daß er der wirkliche Thäter sei.“ Gemeinnütziges. Gewerbliches. (Patentverleibung.) Den Chemikern Baldamus und Grüne in Charlottendurg ist unter dem 9. Oktober 1859 ein Patent auf einen durch Zeichnung und Beschreibung erläuterten, in seiner ganzen Zusammensetzung als neu und eigentbümlich erkannten Apparat zur Erzeugung von Leuchtgas, ohne Jemand in der Benutzung der einzelnen bekannten Theile desselben zu behindern, auf fünf Jahre, von jenem Tage an gerechnet, und für den Umfang des Preußischen Staats ertheilt worden. Wirthschaftliches. (Um Kartoffeln zum höchsten Wohlgeschmack zu bringen) soll man dieselben, nachdem sie abgeschält sind, ohne Wasser in einen Topf thun, denselben mit einem blechenen Deckel bedecken und umgestülpt, so daß der Deckel nach unten kommt, in einen beißen Ofen stellen. In diesem müssen sie, je nachdem der Ofen beiß ist, längere oder kürzere Zeit stehen; wenn der Ofen recht beiß ist, genügt eine Stunde dazu, um die Kartoffel völlig gar zu machen. Das Verfahren ist etwas umständlich; der Wohlgeschmack der Kartoffeln, den das Wasser ganz bedeutend vermindert— wie ja auch allgemein bekannt ist, daß die Kartoffeln, wenn in der heißen Asche gebraten, ganz besonders gut schmecken — soll indessen, wie uns glaubhaft versichert wird, die Mühe reichlich erstatten. (Ein neues Gemüse.) Wie der„W..“ aus Lüdinghausen berichtet wird, hat ein dort einquartirter Soldat, der Gärtner war, bei Spaltung einiger Georginensträucher, deren Blätter als eins der feinsten Gemüse gerühmt. Man darf alle Blätter, das äußerste an der Spitze ausgenommen, nehmen; sie werden wie Melde behandelt und nach dem Zerbacken mit Weinessig, Baumöl rc. angemacht. Mehrmalige Versuche bestätigten die Aussage des Gärtners; es war dieses Gemüse recht schmackhaft. (Ein neues Heilmittel.) Diesen Sommer, gerade nach den blutigen Tagen von Magenta und Solferino, machte der berühmte Professor Velpeau, Oberarzt im Spital Hotel Dien in Paris, der dortigen Akademie der Wissenschaften Mittheilung von Erfindung eines Heilmittels, das besonders für die armen Verwundeten der Armee in Italien eine unschätzbare Wohlthat sein werde. Das Heilmittel besteht aus einer Mischung von Gyps und Steinkoblentheer, die, aufgetragen auf brandige Wunden, diese auf überraschende Weise heilen. Die Erfinder. Herren Corne und Demeau, machten damit an Kranken im Hotel Dieu die ersten öffentlichen Versuche, die mit dem schönsten Erfolge gekrönt waren. Der Präsident der Akademie, nachdem er sich über die Thatsache vergewissert batte, berichtete sofort an den Marschall Vaillant, der dann den Oberarzt der französischen Armee in Italien, Dr. Larrey, bat, das neue Heilmittel bei den verwundeten Kriegern anzuwenden. Marschall Vaillant fühlte sich glücklich, zurückberichten zu können, daß der Erfolg alle Erwartungen übertroffen habe. In Fäulniß und Brand übergegangene Wunden, so schrecklich, schreibt der mit Anwendung der Mittel betraute Dr. Cuveiller buchstäblich, wie man sie auf der ganzen Welt nicht schrecklicher finden kann, wurden durch das neue Heilmittel auffallend gebessert Im Spital San Francisco in Mailand wandten vier französische Chirurgen, unter Anleitung von Oberarzt Larrey, das Mittel bei zwanzig blessirten österreichischen Soldaten an, deren Wunden ganz brandig waren und die zugleich am„Hospitalbrande“ litten. Es trat sofort bei Allen Besserung ein. Die Wirksamkeit dieses Heilmittels ist seitber außer allen Zweifel gestellt. Es ist von unschätzbarem Werthe vorzüglich für die unglücklichen Opfer des Krieges, da die neuen konischen Geschosse besonders gefährliche Wunden verursachen, die Körpertheile quetschen, zersetzen und Fistelgang bilden, wobei bald Fäulniß und Brand erfolgen, deren man bei der bisherigen Behandlung nicht leicht Meister werden konnte. Aber auch in der Privatpraxis wird dieses neue Heilmittel seine segenreiche Anwendung finden, und mit Recht werden die Erfinder desselben, Herren Corne und Demeau, von allen Seiten beglückwünscht. Handels- und ökonomische Nachrichten. Amsterdam, 12. Oktober. Weizen preishaltend. Roggen mit gutem Handel, getrockneter etwas höber, ungetrockneter preishaltend. Gerste preishaltend. Kohlsamen ½ L. höder. Leinsamen ohne Handel. Rüböl gleich und auf Lieferung etwas williger, auf 6 Wochen 34¾ fl., effect. 33½ fl., per Nov. 33¼ a ½ fl., per Dezbr. 34 a ¼ a 34 fl., per Mai 35½ fl. Leinöl gleich und auf Lieferung unverändert, auf 6 Wochen 32½ fl., effect. 31¼ fl., per Nov. 31¼ a 31 fl., per Dezdr. 31 a 30¾ fl., per März, April und Mai 31 a 30¾ fl. Magdeburg, 12. October. Weizen 50 a 56 Thlr., Roggen 42 a 46 Thlr., Gerste 34 a 41 Thlr., Hafer 21 a 25 Thlr.— Kartoffel=Spiritus, die 14,400 pCt. Tr.— Thir. Köln, 13. October. Rüböl und Roggen auf Termine fester. Weizen unverändert. Spiritus höher gehalten.— Am Landmarkt bei einer Zufuhr von ca. 100 Sack Weizen etwas matter, durchschnittlich 6 Tdlr. 9 Sgr. bezahlt, Roggen 5 Thlr. 11 Sgr., Gerste 4 Thlr. 19 Sgr. Padervorn, 12. October. Weizen 2 Thlr. 16 Sgr.— Pf. Roggen 2 Thlr. 6 Sgr.— Pf. Gerste 1 Thlr. 18 Sgr.— Pf. Hafer— Thlr. 28 Sgr.— Pf. Kartoffeln— Thlr. 17 Sgr. Erbsen— Thlr.— Sgr.— Pf. Linsen— Thlr.— Sgr. Bohnen— Thlr.— Sgr.— Pf. Butter per Pfd.— Thlr. 7 Sgr. — Pf. Heu pr. Ctr.— Thl.— Sg.— Pf. Stroh pr. Schock — Thlr.— Sgr.— Pf. Eier per Schock— Thlr.— Sgr.— Pf. Brod per 8 Pfd.— Tdlr. 7 Sgr. 3 Pf. Neuß, 14. Octbr. Weizen à 200 Pfd. Zollgewicht 1. Qual. 6 Thlr. 17 Sgr., 2. Qual. 6 Thlr. 9 Sgr., 3. Qual. 6 Thlr. — Sgr. Land=Roggen à 200 Pfd. Zollgewicht 5 Thlr. 8 Sgr. Wintergerste do. 4 Thlr. 16 Sgr.— Pf. Sommergerste do. 4 Thlr. 16 Sgr.— Pf. Buchweizen do. 4 Thlr. 5 Sgr.— Pf. Hafer do. 4 Thlr. 2 Sgr.— Pf. Erbsen do. 5 Thlr. 15 Sgr.— Pf.— Rübsamen per berl. Scheffel 3 Thlr. 14 Sgr.— Pf.— Kartoffeln a 200 Pfd. Zollgewicht 1 Thlr. 15 Sgr.— Pf.— Heu per Ctr. a 100 Pfd. — Thli. 24 Sgr.— Pf.— Stroh per 200 Pfd. Zollgewicht— Thlr. 25 Sgr.— Pf.— Aveel=Samen 3 Thlr. 4 Sgr. — Pf.— Rüböl per 100 Pfd. neues Gewicht 12 Thlr.— Sgr.— Pf.— Rübkuchen per 2000 Stück Stampf 31 Thlr. — Sgr.— Pf.— Preßkuchen per 2000 Pfd. neues Gewicht 30 Thlr.— Sgr. Branntwein per Ohm a 123 Quart zu 47 pCt. sohne Maklergeld) 15 Thlr. 10 Sgr.— Pf.— Gereinigtes Oel 12 Thlr. 15 Sgr.— Pf.— Bei sehr geringer Zufuhr erlitten die Getreidepreise keine erhebliche Aenderung. Roggen blieb gesucht und wurde etwas höher bezahlt. Rüböl fest. Börsen-Course der Staatspapiere und Actien. Berlin, 14. Octbr. Preuß. Freiw. Anl. 4½ pCt. 99½ Br., 99 Gd.— Staats=Anleihe v. 1850, 1852, 1854, 1855, 1857 4½ pCt. 99¼ Br., 98¾ Gd., do. v. 1856 4½ pCt 99¼ Br., 98¼ Gd., do. v. 1853 4 pCt. 90¼ Br., 89¾ Gd. Staats=Schuldscheine 3½ pCt. 83¼% Br., 82¾ Gd. Prämien=Anl. v. 1855 a 100 Thlr. 3½ pCt. 113 Br., 112 Geld.— Berlin. Stadt=Obligat. 4½ pCt. 98¾ Br., 98¼ Gld., do. 3½ PCt— Br.,— Gld.— Rentenbriefe: Rhein= und Westf. 4 pCt. 91¾ Br.,— Gd. Preuß. Bank=Anth.=Sch. 4½ pCt. 134 Br., 133 Gld.— Friedrichsd'or 13 7/12 Br., 13 1/12 Geld. Andere Goldmünzen= 5 Thl. 109 Vr.,— Gd.— Eisenbahn=Actien. Münster Hammer 4 pCt.— Br.,— Gld.— Köln= Mindener 3½ PCt. 127½ Br., 126 ½ Gld., do. Prior.=Act. 4½ pCt.— Br., 98¼ Geld. Bergisch=Märkische 76½ Br., 75½ Geld. Aach.=Düsseld. 3½ pCt.— Br.,— Gld.— Rheinische 81 Br.,— Gd.— Wechsel=Course: Amsterdam Kurz 141 7/8 Br., 141 3/8 Gld., do. 2 M. 141¼ Br., 141 Gd. Hamburg, Kurz— Br., 149 7/8 Gld., 2 Mt. 149¾ Br., 149½ Gld. London, 3 Mt. 6 18 Br., 6 17 ¾4 Gld. Paris 2 Mt. 78 11/12 Br., 78 ¾/4 Gld. Wien 8 T. 81½ Br., 80 7/8 Gld. Leipzig 8 Tage 99 1½/12 Br., 99¾ Gld. Frankfurt 2 Mt. 56 26 Br., 56 22 Gld. Petersburg 3 Wochen 95⅝ Br., 95 3/8 Gld.— Die Börse begann flau, befestigte sich aber später und beharrte so bis zum Schluß. Oesterreichische Effekten waren recht belebt bei vielfachen Schwankungen; überhaupt trat die Speculation etwas muthiger auf. Einzelne Eisenbabnen waren knapp, die kleinen weniger belebt. In preußischen Fonds blieben die Umsätze gering: einzelne, wie PrämienAnleihe, waren begebrt, andere matter; so verloren Staatsschuldscheine ½, neue Anleihe ½/ Prozent. Druck und Verlag der Coppenrath'schen Buch= und Kunsthandlunß. Herausgeber F. Coppenrath, Münster.