Go to page

Viersener Zeitung

BESTANDSHALTENDE INSTITUTION

Kreisarchiv Viersen

BESCHREIBUNG VERFASST VON

Björn Karlsson (2024), Historisches Institut - Abteilung für Neuere Geschichte, Universität zu Köln

Geschichte und Entwicklung

Vorläufer: Der Verkündiger für Stadt und Land (1848-1873)

Die Geschichte der Viersener Zeitung (VZ) ist eng mit der Viersener Buchdruckerei J. H. Meyer verbunden: Am 1. Juni 1848 erschien erstmalig „Der Verkündiger für Stadt und Land“ im Verlag von Jacob Hermann Meyer (1819-1894) in Viersen. Nur zwei Wochen, nachdem die Nationalversammlung im Zuge der 1848er Revolution erstmals tagte, verfügten die Viersener*innen über ihre erste eigene Zeitung, die donnerstags und sonntags zu halbjährlich 20 Silbergroschen bei der Expedition und 25 Silbergroschen bei Botenbezug erhältlich war. Von Beginn an war Jacob Hermann Meyer nicht nur Verleger, sondern auch für den Druck und die Redaktion verantwortlich. Unter seinem Namen wurden die Leser*innen auf vier Seiten über politische, wirtschaftliche und lokale Neuigkeiten oder Bekanntmachungen verschiedenster Art informiert. Fester Bestandteil waren außerdem Zeitungsromane und weitere unterhaltende „Perlen“. Der Untertitel „Zur Unterhaltung und Erleichterung des Geschäfts-Verkehrs“, der bis 1872 Bestand hatte, betont demnach die Zielausrichtung der Viersener Lokalzeitung. Wohingegen Zeitungen aus der Umgebung, etwa aus der benachbarten Stadt Dülken, ihren Betrieb aufgrund der horrenden Konzessionszahlungen einstellen mussten, konnte sich der Verkündiger über die 1850er und 1860er Jahre halten. Seit 1854 trug sie den Status eines Amtsblattes, der durch die Geschäftsordnung der Stadtgemeinde Viersen Legitimation erfuhr (Viersener Zeitung, 12.01.1904). Die lokale Berichterstattung beschränkte sich zu keiner Zeit nur auf Viersen selbst, sondern griff stets auf die Nachbargemeinden, vor allem Süchteln und Dülken, über. Für die internationale Berichterstattung dienten dem Verkündiger diverse in- und ausländische Zeitungen als Referenz (z.B. Kölnische Zeitung, Times oder Dzenuit).

Mit der Reichsgründung veränderte sich das politische Gefüge: Die Stadt Viersen, die bis 1928 dem Landkreis Gladbach angehörte, war fortan nicht mehr nur Teil der preußischen Rheinprovinz, sondern in einen neu geschaffenen Nationalstaat mit neuen Rahmenbedingungen und Gesetzen integriert. Es etablierte sich der von der Lokalredaktion gezeichnete Leitartikel, der nach eigener Aussage stets objektiv gehalten war. Diese – mitunter meinungsbildende – Wochenrundschau erschien jeden Sonntag und hatte zum Zweck, den Leser*innen einen Überblick zur politischen und gesellschaftlichen Lage zu liefern (Der Verkündiger für Stadt und Land, 21.03.1872). Es entstanden neue Rubriken, die etwa über Neuigkeiten des Deutschen Reichstags berichteten. Der Fokus auf die Verbreitung lokaler Ereignisse und Fakten – etwa des Zivilstandes – und amtlicher Bekanntmachungen blieb weiterhin bestehen. In diesem Zusammenhang werden Mitarbeiter*innen der Zeitung, die mittlerweile über einen Schnellpressendruck verfügte, benannt. Im Zeitungskopf werden seit den 1870er Jahren die Annoncen-Agenturen (z.B. Haasenstein & Vogler und R. Mosse) gelistet, mit denen der Verkündiger kooperierte.

Viersener Zeitung (1873-1933)

Im Oktober 1873 änderte das Zeitungsunternehmen seinen Haupttitel in „Viersener Zeitung“, der bis 1933 unverändert bleiben sollte. Trotz 27-jährigen Bestehens schien es notwendig, in der regionalen Presse – beispielsweise der Neußer Zeitung – Werbungen für das eigene Blatt zu schalten und so neue Abonnent*innen in der Umgebung zu akquirieren. Dies lag auch daran, dass 1875 die VZ in Viersen Konkurrenz durch die „Deutschen Volksblätter“, die dem parteipolitischen Zentrum nahestanden, erhielt. Infolgedessen brach ein regelrechter „Pressekrieg“ zwischen beiden konkurrierenden Lokalzeitungen aus, bei der Teile der umliegenden Presse Partei ergriffen. Der Konflikt, der sich während des Kulturkampfes ereignete, schwappte schließlich auf die „ultramontane“ „Gladbacher Volkszeitung“ über, die sich aufseiten der „Deutschen Volksblätter“ wähnte (Gladbacher Volkszeitung, 03.06.1875). 1876 nannte die VZ eine Auflage von 1.000 Exemplaren für Viersen (bei rund 20.000 Einwohner*innen) und weiteren in 45 Postorten, die im Folgejahr in einem größeren Format erschien. Rund fünf Jahre später lag ihre Auflage bei rund 1.200 zum jeweiligen Jahrespreis von 5,80 M. Die VZ schaltete besonders in der „Krefelder Zeitung“, „Neußer Zeitung“ und „Kölnischen Zeitung“ Inserate.

Zum 1. März 1887 übernahmen die Brüder August und Wilhelm Meyer als Gesellschafter die Buchdruckerei J. H. Meyer (Kölnische Zeitung, 11.05.1887). August Meyer war gelernter Buchdrucker, langjähriger Schöffe und Militarist. Er sollte bis 1928 für insgesamt 41 Jahre die VZ verlegen und das Zeitungsunternehmen prägen. Sein Bruder Wilhelm war Mitverleger, bis 1904 und anschließend immer wieder vertretungsweise hauptverantwortlich für die Redaktion der VZ. Wilhelm Meyer verfügte mindestens seit den 1890er Jahren über ein Redaktionsteam und zeitweise sogar einen Korrespondenten, den Lokalreporter Johann Heinrich Böken (1836/7-1902). Nachdem die Sonntagsausgabe bereits 1895 mit einem 1. und 2. Blatt auf insgesamt acht Seiten aufgestockt wurde, traten 1897 weitere Neuerungen ein: Seit dem 1. April erschien die VZ halbwöchentlich dienstags, donnerstags und samstags zu einem jährlichen Preis von 6,20 M bzw. 6,60 M via Post. Anzeigen waren für 10 Pfennig pro Petitzeile zu erstehen. Politische Nachrichten aus der Welt wurden offiziell über Wolffs Telegraphisches Bureau (W.T.B.) bezogen. Neben lokalwirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Themen fanden neuerdings verstärkt Gerichtsverhandlungen sowie belehrende Aufsätze Einzug. Zudem optimierte die VZ den Service für Abonnent*innen: Diese konnten, wenn auch unregelmäßig veröffentlicht und intransparent nachvollziehbar, mittels Leser*innen-Briefe mit der Redaktion kommunizieren. Dagegen erhielten die Abonnent*innen regelmäßig erscheinende Supplements: Dazu zählten Visualisierungen, wie etwa europäische Landkarten, oder ein achtseitiges Unterhaltungsblatt, das die VZ samstags herausgab. Außerdem einmalige Beilagen, wie einen Wandkalender und einen Fahrplan für die Bahn (Viersener Zeitung, 28.03.1897).

Vier Jahre später, am 2. April 1900, verwandelte sich die VZ in eine Tageszeitung, die bis auf sonn- und feiertags täglich publiziert wurde. „Amtliches und Haupt-Anzeigenblatt für die Stadt Viersen und Umgebung“ löste den altbewährten Untertitel „Der Verkündiger für Stadt und Land“ nun vollständig ab. Der Jahrespreis für ein Abonnement betrug anschließend 7,20 M. Die Preise für Anzeigen wurden im Zeitungskopf nach Größe und Art ausdifferenziert. Die Druckerei J. H. Meyer erwarb neue Maschinen, so dass die Zeitungen schneller gedruckt werden konnten und den Leser*innen bereits morgens zur Verfügung standen (Viersener Zeitung, 02.04.1900). Ebenfalls am 1. April 1900 fusionierten die „Deutschen Volksblätter“ und das 1885 als „Viersener General-Anzeiger“ gegründete, 1897 in „Viersener Volkszeitung“ (VVZ) umbenannte Zentrumsorgan miteinander. Mit der VVZ folgten bis 1909 diverse Konflikte, die schließlich in mehreren Presse-Prozesse aufgrund von Denunziationen und unlauteren Wettbewerbs mündeten (z.B. Viersener Zeitung, 24.05.1902). 1904 bis 1908 war Hermann Schorn verantwortlicher Redakteur. 1906 wurde unter seiner Redaktion die VZ von rund 2.000 Leser*innen zu einem jährlichen Preis von 21,60 M abonniert. Die Rubriken veränderten bisweilen ihre Bezeichnung und Kategorisierung. So wurde beispielsweise bei Bedarf aus den Kolonien berichtet. 1907 gelang es der VZ zum „Amtlichen Kreisblatt für den Landkreis Gladbach“ aufzusteigen, nachdem die Stadt Rheydt aus dem Landkreis ausgeschieden ist. Damit dehnte sich nicht nur der Untertitel aus, sondern gleichsam der Leser*innen-Kreis sowie der Anzeigenteil, der durch Bekanntmachungen des Landratsamts, Kreisausschusses und Gemeindebehörden des Landkreises Erweiterung erfuhr.

Chefredakteur der VZ war zwischen 1909 und 1920 Berthold Frenzel. Während des Ersten Weltkrieges erschien die VZ genau so regelmäßig wie in der darauf folgenden Weimarer Republik. Zunächst kam es zu einer temporären Aufsplitterung der redaktionellen Verantwortlichkeiten: So übernahm beispielsweise Carl Bohnen den Lokalteil, wohingegen Eduard Seepe den Feuilleton zeichnete. Im Zuge der Hyperinflation explodierten die Abonnementspreise. Verglichen zur personellen Kontinuität der vorigen Jahrzehnte war bis 1926 eine höhere Fluktuation an Redakteuren festzustellen. Als neue Rubrik manifestierte sich „Aus Westdeutschland“ und der Sportteil als eigenständiges Ressort. Erst mit Wilhelm Marx war von 1926 bis 1929 wieder ein Redakteur für mehrere Jahre in Verantwortung. Im selben Jahr änderte sich der Status der VZ und trug fortan den Untertitel „Amtliches und ältestes Organ der Stadt Viersen“. 1928 erfolgte die bis dato einschneidendste Zäsur für das Zeitungsunternehmen: Röhre & Co aus Krefeld, der bereits die die „Krefelder Zeitung“ und 1927 die seit 1905 in Dülken erscheinende liberale Zeitung „Die Wacht“ übernommen hatte, verlegte ab diesem Zeitpunkt auch die VZ. Diese erhielt ein neues Design mitsamt eines neuen Logos und Beilagen für für Sport („Ziel“) und Gesang („Das Lied“) sowie einer Sonntagszeitung („Volksschatz“). Die Supplements erschienen ebenfalls in der „Wacht“, die mit der VZ eine Interessengemeinschaft bildete. Diese Zusammenlegung äußerte sich in einem identischen Anzeigenteil und einer gemeinsamen Berichterstattung. Zudem druckte der Verlag die VZ, die nun zwischen vier und sechs Seiten schwankte, mittels Rotationspresse.

Seit 1928 war Hermann Brocks für den Reklame- und Anzeigenteil verantwortlich, von 1930 bis zur Machtübernahme der NSDAP war Erich Hauber Schriftleiter. Während der Präsidialkabinette wurde die VZ aufgrund von Kritik an der Regierung von den Behörden für fünf Tage gesperrt. 1933 übernahm schließlich Hans Heinz Müller die Chefredaktion. Die letzte Eigenständigkeit endete am 2. Januar 1934: Fortan erschien die VZ als „Vereinigte Tageszeitungen am Niederrhein – Krefelder Zeitung, Generalanzeiger für den Niederrhein, Niederrheinisches Echo, linksrheinische Rundschau und Die Wacht am Rhein“ – unter dem Haupttitel „Westdeutsche Zeitung“.

POLITISCHE AUSRICHTUNG

Die Gründung von „Der Verkündiger für Stadt und Land“ steht im Zusammenhang mit den liberalen Ideen der 1848er Revolution. Von Beginn war „der Verkündiger“ keiner politischen Partei klar zugeordnet (Der Verkündiger für Stadt und Land, 01.06.1848). Während der Reaktionszeit verhielt sich „der Verkünder“ regierungskonform, so dass er einem Verbot oder nennenswerten Strafen entgegenwirken konnte. 1875 bekräftigte der Verleger Jacob Hermann Meyer die „unparteiische und objektive“ Ausrichtung. Mittlerweile in „Viersener Zeitung“ (VZ) umbenannt bezeichnete sie sich als „nationale Zeitung“, die sich nach eigenen Aussagen für die Unabhängigkeit der katholischen Kirche einsetzte (Neußer Zeitung, 01.10.1875). Die VZ erschien in der Stadt Viersen, die – wie die Region – stark vom Katholizismus und seit 1871 vom parteipolitischem Zentrum geprägt war. Während des Kulturkampfes erstarkte auch am Niederrhein die Zentrumspresse. Daher muss offen bleiben, ob bei der Annäherung zum Katholizismus tatsächlich ideologische oder pragmatische Gründe ausschlaggebend waren.

Dieses Lavieren, und der damit einhergehende Vorwurf, die VZ hätte sich nicht deutlich positioniert, trat auch in den folgenden Jahrzehnten noch oftmals auf (z.B. Viersener Volkszeitung, 25.02.1902). Trotzdem schlug mit der Übernahme der Brüder August und Wilhelm Meyer die VZ einen tendenziell (national-) liberaleren Kurs ein. Die VZ vermied es, offiziell ihre politische Gesinnung kundzugeben. Bei den Reichstagswahlen 1907 unterstützte der Verleger August Meyer offen in der VZ den konservativen Gegenkandidaten des Zentrums im Wahlbezirk Gladbach (Viersener Zeitung, 10.01.1907).

Mit der Übernahme durch den Verlag Röhre & Co erschien die VZ im Verbund mit der Dülkener „Die Wacht“, die sich offiziell als nationalliberale Tageszeitung deklarierte.

Literatur und Quellen

  • Föhles, Eleonore: Kulturkampf und katholisches Milieu 1866-1890 in den niederrheinischen Kreisen Kempen und Geldern und der Stadt Viersen, Viersen 1995.
  • Frohn, Peter Paul: Viersens erste Zeitung, in: Kreis Viersen (Hrsg.): Heimatbuch des Kreises Viersen, Band 24, 1973, S. 233-235.
  • Karlsson, Björn: Koloniale Spuren am Niederrhein, Verbindungen, Verflechtungen und Erinnerungen an das Kolonialzeitalter am Beispiel der Stadt Viersen, Berlin 2021.
  • Karsten, Jürgen: Presse und Presseamt in den ersten Nachkriegsjahren. Mit einem kurzen Rückblick in die Zeitungsgeschichte des Kreises Viersen, in: Kreis Viersen (Hrsg.): Heimatbuch des Kreises Viersen, Band 38, 1987, S. 215-232.
  • Sperling, H. O. (Hrsg.): Sperlings Zeitschriften-Adressbuch 1906, 43. Ausgabe, Stuttgart 1906.
  • Verein für Heimatpflege e.V. Viersen (Hrsg.): Rintgen, Entwicklung eines Viersener Stadtteils, Viersen – Beiträge zu einer Stadt, Bd. 47, Viersen 2021.
  • Woher, Leo: Die Presseverhältnisse im Königreichen Preußen, Würzburg 1881.